Medien

„Extrem hohes medizinisches Niveau“

(24.10.2023)

Gesundheitsökonom Dr. Martin Baumann ist neuer Geschäftsführer des Klinikums. Wir sprachen mit ihm auch über Karl Lauterbachs Reformpläne der Krankenhauslandschaft

Erst vor wenigen Tagen hat Dr. Martin Baumann (48) die Nachfolge von Dr. Christoph Scheu als Geschäftsführer des Klinikums angetreten. Nach fast 15 Jahren auf diesem Posten ist Scheu in Ruhestand gegangen. Einen Monat lang arbeitet er den Nachfolger vereinbarungsgemäß ein, macht ihn mit Straubinger Eigen- und Gegebenheiten vertraut. Baumann ist dankbar dafür, er hält auf Scheu und die Bilanz dessen Ära in Straubing große Stücke.

Weder in Sachen Barmherzige Brüder noch in Sachen Krankenhaus ist Baumann allerdings Neuling. Die vergangenen elf Jahre war der Gesundheitsökonom Geschäftsführer des Krankenhauses Schwandorf unter gleicher Trägerschaft. Freilich hat das Krankenhaus Schwandorf im Vergleich 267 Betten, Straubing 475.

Baumann, gebürtiger Unterfranke aus Aschaffenburg, der mit einem Augenzwinkern Wert darauf legt, Bayer zu sein („gerade noch an der Grenze“), lebt seit 2006 mit seiner Familie in Regensburg. Er hat Frau und zwei Söhne im Alter im 13 und neun Jahren, das Wichtigste in seinem Leben neben seiner Tätigkeit bei den Barmherzigen Brüdern. Den Orden schätzt er als frei gemeinnützige Träger in der Krankenhausszene überaus, vor allem deren Werte-Orientierung. „Ein klarer christlicher Auftrag“, konsequent orientiert am Patienten, verbunden mit hoher Professionalität, dem Anspruch auf hohe Qualität der medizinischen Versorgung sowie Innovation, was deren Häuser zukunftsfähig halte. „Dazu will ich gerne im Rahmen meiner Möglichkeiten einen Beitrag leisten.“

„Hier tut man etwas Sinnvolles“

Krankenhäuser haben ihn, der zunächst Betriebswirtschaft studierte, immer sehr interessiert, weil es hier nicht nur um wirtschaftliche Fragen geht. Hier werde Menschen geholfen. Hier tue man etwas Sinnvolles. Jeden Tag aufs Neue und jeden Tag mit Herausforderungen. Deshalb hat er sofort nach Einrichtung des damals nagelneuen Studiengangs Gesundheitsökonomie an der Universität Bayreuth darauf umgeschwenkt. Es war für ihn die ideale Kombination von „Sozialbereich und Ökonomie“.

Er hat promoviert und ist nach Tätigkeit als wissenschaftlicher Mitarbeiter an der Universität und in einer Unternehmensberatung 2006 auf eine Stelle bei den Barmherzigen Brüdern in Regensburg gewechselt – als Bereichsleiter Strategische Unternehmensplanung in deren Krankenhausverbund. Diesen hat er dabei bis ins Detail kennengelernt. „Eine spannende Zeit“, sagt er, denn damals seien von bundespolitischer Seite die DRGs eingeführt worden, sprich die Fallpauschalen-Finanzierung in Krankenhäusern. „Damals ist viel wirtschaftlicher Druck ins Gesundheitswesen gekommen.“ Allerdings auch wünschenswerte Transparenz.

Nächste Station war die Krankenhaus-Geschäftsführung in Schwandorf, die ihm der Orden angetragen hat. „Über die Jahre hat sich viel Vertrauen aufgebaut.

“Der Wechsel nach Straubing hat ihn auch deshalb gereizt, weil das Klinikum im deutschlandweiten Ranking der Krankenhäuser zu den besten gehöre. Ein Personaltraining für Patienten-Sicherheit auf so hohem Level habe er noch nirgends gesehen, sagt er anerkennend, ein Aspekt, der Christoph Scheu sehr wichtig gewesen sei. Das Straubinger Klinikum sei zukunftsfähig. Es habe die optimale Größe, „extrem hohes medizinisches Niveau“, sei dennoch familiär und auch fachlich ausdifferenziert. Das Team, wie er es bisher kennengelernt habe, gehe gut miteinander um. „Da habe ich gern Ja gesagt, hier mitgestalten zu dürfen.“ Es sei sehr befriedigend, täglich aufs Neue zu organisieren, dass viele spezialisierte Berufsgruppen zusammenwirken, um die Patienten gut versorgt zu wissen.

Ein Klinikum auf unglaublich hohem Niveau

Baumann teilt die Einschätzung seines Vorgängers, dass das Haus seine Chancen weiter erhöhe, wenn Ende nächsten Jahres 60 Betten mehr zur Verfügung stehen. Dann sei man noch leistungsfähiger, könne der hohen Nachfrage noch besser gerecht werden. „Ich bin optimistisch.“

Im Krankenhaus Schwandorf war er an der Abwicklung einer Baumaßnahme zum Um- und Neubau im Umfang von 50 Millionen Euro von Anfang an beteiligt. Ein ähnlich monumentaler Projekt-Umfang wie er gerade am Klinikum in die Zielgerade geht. Der Reiz sei gewesen, die Planung mit den Mitarbeitern des Hauses mitbeeinflussen zu können. Es sei sehr herausfordernd gewesen, denn Neu- und Altbau seien ineinander verschränkt worden. „Es ist aber auch ein Privileg, bauen zu dürfen“, sagt Baumann. Als Geschäftsführer habe man eine professionelle Truppe aus dem Krankenhausverbund der Barmherzigen Brüder an der Seite, die für Einhaltung von Zeit- und Finanzplanung sorge.

In Straubing biege das Projekt in die Zielgerade. Der größte Teil sei umgesetzt, jetzt werde noch an der neuen Endoskopie und Intermediate Care Einheit gearbeitet, die künftig die Intensivstation ergänzt.

Wenn er den Kopf frei pusten will, was schon beim Pendeln von und zur Arbeit beim Autofahren passiere, tut er das beim Radfahren, Wandern und Skifahren. Und in der Zeit, die er mit den Söhnen verbringt – solange sie in einem Alter sind, wo sie das noch gerne mit dem Vater machen, sagt er lachend.

Entbürokratisierung? Nicht wirklich in Sicht

Was halten Sie für die größte Herausforderung in der Krankenhauslandschaft der nächsten Jahre?

Dr. Martin Baumann: Die Fallpauschalen-Finanzierung hat seit Anfang der 2000er Jahre viel verändert, aber jetzt stehen wir vor noch größeren Herausforderungen. Es ist eine schwierige Gemengelage. Wir stehen vor einer umfassenden Krankenhausreform. Es herrscht akute Finanznot der Krankenhäuser. Dazu kommt die demografische Entwicklung: Patienten sind zunehmend älter und multimorbid erkrankt. Dazu der Mangel an Berufsnachwuchs. Für zwei Mitarbeitende, die in den verdienten Ruhestand gehen, kommt nur eine junge Fachkraft nach.

Diese Herausforderung muss in zwei Stoßrichtungen angegangen werden: Integration ausländischer Fachkräfte und Ausbildung von jungen Leuten aus dem Ausland bei uns. Außerdem möglichst viel selber ausbilden – und zwar in allen Bereichen. Wir müssen attraktiv werden mit unseren Berufsbildern.

Die öffentliche Diskussion ist viel zu sehr fokussiert auf Schattenseiten. Wir müssen weg vom Jammern und zeigen, wie unglaublich viel der Pflegeberuf zurückgibt, wie sinnvoll er ist und dass wir uns bemühen, für gute Arbeitsbedingungen zu sorgen. Dass Krankenhaus ein 24/7-Betrieb ist, ist allerdings nicht wegzudiskutieren. Es wird immer Schichtdienst nötig sein. Deshalb gilt es, attraktive Arbeitszeitmodelle zu schaffen.

Nächster Faktor ist die Digitalisierung. Dabei geht es nicht um den Ersatz von Papier. Damit einher geht eine umfassende Änderung der Arbeitsweisen, bei digitaler Akte, Medikation bis Pflegedokumentation... Mit Sicherheit wird KI (Künstliche Intelligenz) die Berufsbilder im Gesundheitsbereich verändern.

Sie sind Gesundheitsökonom, also im weitesten Sinn Spezialist, was Kosten im Gesundheitswesen angeht. Wo ist ihrer Einschätzung nach der höchste Regulierungsbedarf, in welchen Bereichen sind Krankenhäuser am meisten unter Druck? Wo geht das Rad noch um?

Martin Baumann: Gerade wird die existenzielle Finanzkrise der Krankenhäuser sichtbar. Es herrscht Alarmstufe Rot. Das hat lange niemand interessiert, weder Politik noch Öffentlichkeit. Wir bekommen keinen angemessenen Inflationsausgleich – nur fünf Prozent. Zwei Drittel unserer Kosten sind Personalkosten. 2024 kommen Tariferhöhungen von zehn bis elf Prozent, absolut verdient und angemessen für die Mitarbeiter. Auch bei den Sachkosten wird alles teurer, Energie, Medizinprodukte, Lebensmittel. Es klafft eine gewaltige Lücke.

Die Kliniken sind gefangen zwischen hohen Kosten und zu niedrigem Inflationsausgleich und deshalb hochdefizitär. Hinzu kommt, dass durch überbordende Bürokratisierung unsere Handlungsspielräume gering werden. Es ist alles bis ins Kleinste vom Gesetzgeber reglementiert. Das hat keinen Mehrwert für die Patienten, es ist vielfach Selbstzweck. Datenfriedhöfe wären ein Riesenhebel, wo die Politik ansetzen könnte, damit Mitarbeiter wieder zu ihrer eigentlichen Tätigkeit kommen.

Wie schätzen Sie die jetzige und zukünftige Rolle gemeinnütziger freier/kirchlicher Träger von Krankenhäusern ein in den nächsten Jahren?

Martin Baumann: Frei gemeinnützige Träger leiden unter der Ungleichbehandlung der öffentlichen Hand. Bei öffentlich getragenen Krankenhäusern springen die Kommunen mit Steuergeldern ein. Frei gemeinnützige Häuser haben diese Hilfe nicht. Sie sind von akuter Unterfinanzierung betroffen.

Es ist dringend nötig, für einen angemessenen Inflationsausgleich zu sorgen. Das Straubinger Klinikum ist extrem gut aufgestellt durch seine Fachlichkeit und als leistungsfähiges großes Krankenhaus, es leidet aber dennoch unter diesem grundsätzlichen Manko. Ich bin überzeugt, dass langfristig unsere christliche Philosophie des Handelns und strikte Patientenorientierung für Erfolg sorgen. Dazu braucht es aber gleiche faire Rahmenbedingungen. Wenn man Trägervielfalt will, darf man frei gemeinnützige Träger nicht schlechterstellen.

Mit welchen Erwartungen sehen Sie der Krankenhausreform Karl Lauterbachs entgegen?

Martin Baumann: Eine Krankenhausreform ist notwendig, um die stationäre Versorgung hochqualitativ und bezahlbar zu halten. Wir brauchen stärkere Zentralisierung, sprich weniger und größere Krankenhäuser. Tatsächlich haben wir zu viele Krankenhäuser, die alle dasselbe anbieten. Die Kluft zwischen der Realität und dem sinnvollen Zielbild der Krankenhauslandschaft ist derzeit sehr groß. Eine wirksame Reform erfordert allerdings Zeit und ausreichend Mittel, um nicht radikale Verwerfungen zu verursachen.

Zurzeit fehlen Zeit und Mittel. Dieser Bereich der Daseinsvorsorge verdient ein planvolles Vorgehen, man kann nicht einfach in Kauf nehmen, Häuser vor die Hunde gehen zu lassen. Eine Entbürokratisierung ist versprochen. Das Gegenteil scheint mir der Fall, weil noch jahrelang in einer Übergangsphase parallel die bisherige Finanzierung aufrechterhalten werden muss. Wir werden noch lang in Bürokratie erstickt. Insofern bin ich da nicht optimistisch.

Wir wollen uns leisten, dass jeder Mensch jederzeit Zugang zu allen medizinischen Leistungen hat. Das gibt es in keinem anderen Land der Welt. Das ist teuer und geht zu Lasten der Ärzte und Pflegekräfte. Verdeckt findet allerdings doch eine Rationierung statt, denn bekanntlich muss man auf einen Facharzttermin lange warten. Lauterbach sollte einmal darüber sprechen. Er nimmt das ignorant in Kauf und vertröstet auf Reformen – irgendwann.   -mon-

Quelle: Monika Schneider-Stranninger, Straubinger Tagblatt vom 24.10.2023