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Omas Armbruch muss kein Beinbruch sein

(22.06.2023)

Vor einem halben Jahr wurde die Klinik für Akutgeriatrie eine eigene Hauptfachabteilung des Klinikums Straubing. Eine Zwischenbilanz auch vom erfolgreichen Widerlegen von Vorurteilen

Akutgeriatrie? Mit dem Wort verbindet mancher, zugespitzt formuliert, „ein Altenheim mit Ärzten“, Pflegefälle geballt und irgendwie wenig Perspektive. Gegen solche Vorurteile muss sich auch die Akutgeriatrie des Klinikums St. Elisabeth, die ausgelagert ist in die Klinik Bogen, von Anbeginn behaupten. Seit zwei Jahren gibt es sie, seit gut sechs Monaten ist sie zu einer eigenen Hauptfachabteilung des Klinikums aufgewertet – mit Dr. Roland Friedlmeier als Chefarzt. Mit jahrelanger Erfahrung in dem Bereich, zuletzt in Bad Windsheim, sind ihm die Vorurteile nicht fremd. Wir fragten nach einer Zwischenbilanz. Die 24 Betten zählende Station ist – mittlerweile – voll ausgelastet, führt sogar eine Warteliste, und die Vorurteile werden offensichtlich täglich kleiner.

Mit zwei Ärzten habe die Abteilung angefangen, blickt Friedlmeier zurück, heute zähle sie acht, wohlgemerkt nicht alle in Vollzeit. Es sind Mediziner aus mehreren Disziplinen, vom Internisten bis zum Neurologen und Anästhesisten. Denn das Konzept basiert auf Interdisziplinarität. Der Blick richtet sich auf den gesamten Menschen, Körper wie Psyche, was bei der wöchentlichen Teambesprechung von Ärzten, Pflegepersonal und Physio-, Ergotherapeuten und Logopäden bis hin zum Sozialdienst zum Tragen kommt.Und ein hochmotiviertes Pflegeteam mit Zusatzkenntnissen in aktivierender Pflege ist weitere Säule, wie Stationsleiterin Sabine Schiedeck bestätigt. Das Team ist eine Mischung aus Kranken- und Altenpflegern. Natürlich könnte der Personalschlüssel immer besser sein, sagt sie, aber „wir sind gut aufgestellt, wir haben die Zeit, auch mal ein paar Minuten länger im Zimmer zu bleiben und mit dem Patienten zu reden“, sagt sie. Der Reiz an der Akutgeriatrie sei für die Pflegekräfte gewesen, beim Aufbau von etwas Neuem mitzuwirken. „Unser Personal ist zwischen 24 und 62 Jahren alt“, sagt sie. Die Fluktuation sei gering. Das spreche für die Abteilung. Als großen Vorteil für alle Mitarbeiter wertet Dr. Friedlmeier die Planbarkeit des Dienstes. Hier kämen keine Notfälle herein, sondern nur geplante Zugänge. Das biete ausländischen Ärzten die Chance, das deutsche Gesundheitssystem in Ruhe kennenzulernen und (nicht nur) älteren Ärzten mit Wunsch nach Teilzeitdienst entsprechende Arbeitszeitmodelle. Eine Win-Win-Situation.

„Die meisten Patienten sind 80 plus minus fünf“

Laut offizieller Definition ist eine Geriatrie für Menschen über 65 Jahre gedacht, laut Bundesverband Geriatrie für über 70-Jährige. Tatsächlich, sagt Friedlmeier, sei das Gros der Patienten „80 plus minus fünf“, aber auch 90-Jährige seien dabei. Zwischen 65 und 70 seien es verschwindend wenig. Am häufigsten sei der Grund für den Krankenhausaufenthalt ein Bruch, der berüchtigte Oberschenkelhalsbruch oder auch Oberarm- oder Beckenbrüche. „60 bis 65 Prozent sind unfallchirurgische Patienten.“ Die Patienten seien altersbedingt meist von mehreren Grunderkrankungen betroffen, ihr gesundheitliches Gleichgewicht ist entsprechend fragil und sie bräuchten natürlich länger, sich zu erholen als ein jüngerer Mensch.

Der Ansatz sei deshalb der einer Frührehabilitation. Der Chefarzt macht kein Hehl daraus, dass ein alter Mensch, der eine Woche krankheitsbedingt im Bett liegt, „schwer wieder herauskommt“. Er werde schwächer, unsicher, es drohe Sturzgefahr. Da brauche es Anleitung und professionelles Bemühen um Mobilisierung. Deshalb übernehme man auf die Akutgeriatrie Patienten beispielsweise gleich nach der OP, in der frühen Heilungsphase. Und zwar so gut wie ausschließlich vom Klinikum Straubing und der Klinik Bogen. Ziel sei, die Senioren schnell wieder so fit wie möglich zu machen, mit der Aussicht, ihren Alltag, wie er bis dahin war, wieder aufnehmen zu können. Tatsächlich sei das in aller Regel zu schaffen, macht er Mut. Die Dankbarkeit der Patienten und ihrer Angehörigen beeindruckt ihn immer wieder. Viele sagten, sie hätten sich das nicht vorstellen können.

Adressat sind nicht die Pflegebedürftigen

Tatsächlich seien es Senioren, die vorher einen hohen Grad an Selbstbestimmtheit hatten. Dazu wolle man ihnen wieder verhelfen, sagt Friedlmeier. Adressat der Akutgeriatrie seien deshalb gerade nicht hochgradig Pflegebedürftige. Die Senioren sollen ermutigt werden, selber zu machen, was sie noch selber machen können. „Und das ist meist eine Menge“, versichert Sabine Schiedeck. „Da geht noch ganz viel.“ So gut wie jeder Patient verlasse die Station besser als bei seiner Ankunft. „Und wir lachen sehr viel bei der Visite“, erzählt Friedlmeier. „Eine Erkrankung verschlechtert sich nicht, wenn man lacht, eher im Gegenteil.“

Der Aufenthalt liege in aller Regel bei zwei Wochen, in Ausnahmefällen länger. Danach gehe es nach Hause oder gleich in eine Anschluss-Reha. In absehbarer Zeit will Friedlmeier mit seinem Team die Zertifizierung als alterstraumatologisches Zentrum angehen. Der Bedarf sei da und angesichts einer alternden Gesellschaft steigend. Die jetzige Vollauslastung unterstreiche das. Kalkuliere man mit dem Anteil 70- bis 75-jähriger Patienten, bräuchte man theoretisch schon jetzt das Doppelte, rechnet er vor.Auch den Spagat zwischen Straubing und Bogen beherrsche man zwischenzeitlich, schmunzelt Friedlmeier, die Klinik ist in Bogen, gehört aber zum Klinikum Straubing. „Da sind wir die Straubinger, dort die Bogener, je nach Perspektive.“

Quelle: Monika Schneider-Stranninger, Straubinger Tagblatt vom 16.06.2023

KLINIK FÜR GERIATRIE