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Woran die Gesundheit Ostbayerns hängt

(22.10.2024)

Lange Transportwege werden wegen der Krankenhausschließungen zum Problem – auch in der Region. Die Luftrettung versucht die Versorgung sicherzustellen. Doch es gibt noch viel zu tun

Ein Notfall kann jedem widerfahren. Dann bleiben Minuten, um den Erkrankten oder Verletzten in ein Krankenhaus zu bringen. Minuten, die über Leben und Tod entscheiden können. Doch was, wenn kein Krankenhaus in der Nähe ist und sich deswegen auch die Rettung verzögert? Wegen der nun beschlossenen Krankenhausreform besteht die Befürchtung, dass Krankenhäuser vor allem in ländlichen Regionen schließen müssen und somit die Rettungswege auch in Ostbayern noch länger werden.

Bereits heutzutage ist unter anderem aus diesem Grund der Straubinger Rettungshubschrauber in der Region im Einsatz. Im Bundesvergleich ist er am häufigsten unterwegs, um Erkrankten und Verunfallten schnellstmöglich ärztliche Hilfe zu leisten. Doch was, wenn im schlimmsten Fall auch der Rettungshubschrauber während eines Notfalls bereits in einem Einsatz stecken oder einen technischen Defekt haben sollte – hat man dann, salopp gesagt, einfach Pech gehabt?

Den schlimmsten Fall gilt es für Sandro Wimmer und sein Team zu verhindern. Er ist Pilot und Stationsleiter des Rettungshubschraubers „Christoph 15“ bei der ADAC-Luftrettung in Straubing. Pilot, Notarzt und Notfallsanitäter fliegen los, wenn dadurch der Notarzt am schnellsten vor Ort ist. Sie versorgen Kranke und Verunglückte in einem Umkreis von rund 70 Kilometern und retten somit Menschen aus ganz Ostbayern.

Über 2 000 Einsätze hat der Rettungshubschrauber „Christoph 15“ im vergangenen Jahr geflogen, heißt es von der ADAC-Pressestelle. In Zukunft könnte die Zahl der Einsätze steigen.

Krankenhausreform als Gefahr im ländlichen Raum

Wem beispielsweise ein Unglück in der Nähe von Landau widerfährt, der könnte vor einem Problem stehen. Hier wurde das Donau-Isar-Klinikum angesichts der Reform von einem Krankenhaus in eine Fachklinik mit internistischem Schwerpunkt umgewandelt. Da es dementsprechend keine Chirurgie mehr gibt, können hier auch keine chirurgischen Notfälle mehr versorgt werden. Bei einem Unfall müsste der Patient in das Klinikum nach Dingolfing, das rund 30 Minuten Fahrtzeit entfernt liegt – wenn kein Stau herrscht. Minuten, die man unter Umständen nicht hat.

Die Entscheidung sei schweren Herzens getroffen worden, sagt der Pressesprecher auf Anfrage. Wieso sich das Krankenhaus dennoch für die Umstrukturierung entschieden hat: Durch die neue Ausrichtung habe man das Defizit des Gesamthauses „in die richtige Richtung“ lenken können, heißt es.

Das Defizit sei jedoch nicht der allein entscheidende Faktor für die Neuausrichtung des Klinikums gewesen. „Es sind die Vorgaben der Bundesrepublik, die solche Maßnahmen erzwingen.“

Das, was dem Donau-Isar-Klinikum Landau widerfahren ist, könnte in Zukunft weitere Krankenhäuser in der Region treffen. „Kliniken verlieren rund 100 000 Euro pro Stunde“, sagt ein Pressesprecher der Bayerischen Krankenhausgesellschaft auf Anfrage unserer Mediengruppe. „Seit über zwei Jahren weisen wir darauf hin, dass die Kliniken in die Defizite rauschen“, weil diese nur bedingt ihre Preise heben dürfen. „Hier ist es nicht wie in der freien Wirtschaft; wie beim Bäcker, der beliebig viel für seine Breze verlangen darf.“ Auf die Pleiten folgen Schließungen von Stationen oder sogar des kompletten Hauses. Mit der Krankenhausreform würden wegen der damit einhergehenden Regularien noch mehr Kliniken ihre Türen für immer verriegeln müssen. Vor allem kleinere Krankenhäuser auf dem Land hätten keine Chance zu überleben. Spricht sich die Krankenhausgesellschaft somit gegen die Reform des Bundesgesundheitsministers aus? „Nein“, sagt der Pressesprecher, „es braucht eine Veränderung, ganz dringend sogar.“

Doch sei die nun beschlossene Herangehensweise „ein gesetzgeberisches Experiment am offenen Herzen ohne Netz und doppelten Boden“. Mit solch einer Krankenhausreform würde nichts besser werden, heißt es – im Gegenteil: Die Reform gefährde die Gesundheitsversorgung, sorge für wirtschaftliche Fehlanreize und erhöhe den bürokratischen Aufwand. Dadurch würden Kliniken im ländlichen Raum zu Luxus werden.Wenn es auf die lebensrettende Minute ankommt, könnte man sich dann lediglich auf den Rettungshubschrauber verlassen. Doch nicht nur tiefhängende Wolken und Nebel schränken die Luftretter bei ihrer Sicht und somit bei ihrer Verfügbarkeit ein.

Steigende Einsätze durch Versorgungslücken

Bis auf die Rettungshubschrauber aus München, Nürnberg und Regensburg dürften derzeit keine weiteren bayerischen Hubschrauber nach Sonnenuntergang zum Einsatz rausfliegen. Und wenn die Hubschrauber bereits im Einsatz sind, wer rettet dann? Unsere Mediengruppe fragt aus diesem Grund beim Innenministerium an, ob dieses nicht über eine Erweiterung der Zeiten des Luftrettungsdienstes Straubing nachdenkt, um die Versorgungslage in Ostbayern zu sichern. Derzeit nicht, lautet die Antwort, denn durch den 24-Stunden-Betrieb der Standorte München, Nürnberg und Regensburg sei die Primärrettung „in großen Teilen Bayerns“ sichergestellt. Bayern verfüge zudem mit seinen 15 Luftrettungsstandorten bundesweit über die beste flächenmäßige Abdeckung, heißt es.

Theoretisch klingt das gut, doch wie sieht es in der Praxis aus? Unsere Mediengruppe hat aus diesem Grund beim Bayerischen Roten Kreuz (BRK) angefragt, weil es die Integrierte Leitstelle verwaltet und somit weiß, wie der Rettungsdienst in Ostbayern aufgestellt ist und wofür Bedarf besteht. Die Integrierte Leitstelle entsendet das nächstgelegene Rettungsmittel; entscheidet anhand eines Einsatzstichworts, welcher Rettungsweg am sinnvollsten erscheint. Somit weiß man hier auch, wie groß die Kapazität ist, mit der täglich hantiert wird.

Sebastian Lange, Abteilungsleiter des Rettungsdienstes des BRK sagt, dass der Bedarf an Kapazitäten des Rettungsdienstes immerzu von den zuständigen Zweckverbänden geprüft werde; dass geschaut wird, wo nachjustiert werden muss.

Eins sei bereits klar: Die Zahl der Rettungseinsätze steigt. Allerdings nicht die der lebensbedrohlich Verletzten, sondern der „Low Code“-Einsätze, bei denen keine unmittelbare Lebensgefahr besteht.

Da wegen des Mangels an Allgemeinmedizinern seit Jahren auf dem Land vielerorts Versorgungslücken aufklaffen, rufe ein Patient aus seiner Verzweiflung heraus, aber auch aus Gewohnheit, beim Rettungsdienst wegen Bauchweh, Husten und Fieber an – weil der Rettungsdienst an diesem Ort die einzig verbleibende Einrichtung des Gesundheitswesens sei.

Neue Ansätze für die Notfallhilfe

Eine Spirale, die sich wiederum auf das gesamte Rettungssystem ausgewirkt hat; die Notärzte aufhält, Kapazitäten schluckt, weil Notfallsanitäter, Notarzt, Rettungswagen und -hubschrauber ausrücken müssen, wenn der Erkrankte am Telefon ein Stichwort sagt, das im Zweifel lebensbedrohlich klingt – obwohl keine akute Lebensgefahr besteht.

„Der Rettungsdienst benötigt künftig Kapazitäten, um Low-Code-Einsätze gezielt vor Ort behandeln zu können. Damit könnten Rettungskapazitäten der Notfallrettung für lebensbedrohliche Einsätze freigehalten werden“, sagt Lange. Aus diesem Grund sei in Regensburg im April 2022 ein Pilotprojekt gestartet: Wenn bei der Notrufabfrage voraussichtlich kein Patiententransport gebraucht wird, kommt ein Notfallsanitäter alleine – ohne Notarzt. Zudem bietet die Technische Hochschule Deggendorf im Wintersemester 2024 bundesweit einmalig einen entsprechenden Studiengang an, um die außerklinische Akut- und Notfallversorgung weiter auszubauen.

Seit Anfang Mai 2024 wurde zudem ein bayernweites Gutachten in Auftrag gegeben, um herauszufinden, ob die Notwendigkeit besteht, dass zum Beispiel der „Christoph 15“ auch nachts fliegen soll. „Technisch geht das bereits“, sagt Sandro Wimmer. Da der Pilot immer sicher landen können muss, muss er jederzeit seine Umgebung sehen können.

Hochspannungsleitungen, Metallrohre in Feldern, Gartenzäune und vieles mehr könnte dem Piloten beim Landen zum Verhängnis werden. Bei Tageslicht kein Problem: Ein Monitor, ähnlich einer Rückfahrkamera beim Auto, zeigt dem Piloten an, was sich unter dem Hubschrauber befindet. Und nachts? Dafür hätte das Luftrettungsteam Nachtsichtbrillen und eine spezielle Beleuchtung im Cockpit.

Was allgemein beruhigt: Das Gesundheitssystem ist sich den möglichen Auswirkungen der Krankenhausreform bewusst und versucht entgegenzuwirken – derzeit jedoch noch relativ theoretisch. Denn in Zukunft, wenn es keinen Arzt mehr in der Nähe gibt, wird es entscheidend sein, wie effizient Notfallstrukturen angepasst und alternative Rettungskonzepte umgesetzt werden, um eine flächendeckende und schnelle medizinische Versorgung sicherzustellen.

Quelle: Simona Cukerman, Straubinger Tagblatt vom 18.10.2024

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