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Vorsorgen für einen sorglosen Sommer

(29.06.2022)

Leiterin der Impfstation: Volksfeste und Urlaub lassen Nachfrage nach Impfauffrischung steigen – „Individuelle Entscheidung mit vielen Faktoren“ – Für Booster nach sechs Monaten

Corona ist nahezu in Vergessenheit geraten. Das Leben ist wieder fast normal. Der Sommer lockt mit Partys, Festivals und Festen. Das Virus feiert mit. Dr. Julia Hempel, Ärztliche Leiterin der Impfstation im Gäubodenpark, beobachtet aber, dass seit kurzem wieder mehr Menschen in die Impfstation kommen, um sich boostern zu lassen. Denn wer frisch geimpft im Bierzelt sitzt oder in den Flieger steigt, könne sich einfach sicherer fühlen. Wir sprachen mit der Ärztin, wie lange die Impfung schützt und für wen eine Sommer-Impfung sinnvoll ist.

Wie lautet Ihre Empfehlung in Sachen Corona-Impfung für den Sommer?

Dr. Julia Hempel: Jeder sollte sich fragen: Ist mein persönlicher Corona-Impfschutz ausreichend für volle Bierzelte und größere Menschenansammlungen? Bin ich ausreichend geschützt für das zwischenzeitlich wieder ‘gelebte‘ normale Leben? Wie wichtig ist mir ganz persönlich ein optimaler Schutz?

Woran kann ich meine Entscheidung für oder gegen eine Auffrischungsimpfung festmachen?

Dr. Hempel: Es spielen individuelle Faktoren wie Vorerkrankungen, persönliche Risikokonstellation, berufliche Belastung und so weiter eine Rolle. Habe ich relevante Grunderkrankungen, die mich zu einer Risikoperson werden lassen? Komme ich in meinem Umfeld mit vielen Menschen zusammen? Habe ich in meinem Umfeld vielleicht besonders schützenswerte Personen, die älter oder krank sind? Unterliege ich berufsbedingt Vorgaben? Habe ich Reisen in Risikogebiete geplant? All das sind Fragen, die man sich stellen sollte. Das Thema ist natürlich sehr komplex. Im Zweifel empfehle ich, sich beim Hausarzt oder in unserer Impfstation individuell beraten zu lassen.

Auch geimpfte Menschen erkranken an Corona, warum also sollte man sich impfen lassen?

Dr. Hempel: Die Corona-Schutzimpfung hat uns natürlich in gewisser Weise enttäuscht. Der zunächst propagierte Schutz vor Infektion wurde nicht erfüllt. Aber: Die schweren Verläufe, die Todesfälle, die Hospitalisierungen wurden deutlich reduziert. Dieser Effekt ist nicht nur, aber großteils der Impfung zu verdanken. Impfen schützt.

Wie ist es möglich, sich innerhalb kurzer Zeit gleich mehrmals mit Corona anzustecken?

Dr. Hempel: Wenn jemand innerhalb von vier Wochen Corona positiv, dann negativ und dann wieder positiv ist, gilt das als ein Ereignis. Auch bei einem frisch Geimpften, der innerhalb von vier Wochen an Corona erkrankt, wird das als ein Ereignis gesehen. Das Immunsystem braucht Lektionen, um sich zu entwickeln.

Was sagen Sie zu den häufig wechselnden Impfempfehlungen in der Vergangenheit?

Dr. Hempel: Das teilweise verwirrende Hin und Her der Impfstoffzulassungen „Astra nur unter 60, dann Astra nur über 60, Johnson ist ein Einmal-Impfstoff, dann doch nicht, Moderna nur über 30, und so weiter“ hat logischerweise Vertrauen gekostet. Allerdings war es richtig, auf die Erkenntnisse, die man nach und nach gewonnen hat, sofort zu reagieren. Das ist gelebte Wissenschaft. Die Zeit, auf all diese Erkenntnisse zu warten, hat man mitten in einer Pandemie schlicht und einfach nicht. Trotzdem darf man den verfügbaren Impfstoffen, trotz seltenen und ja, vorhandenen Reaktionen, durchaus vertrauen. Ibuprofen ist auch ein Medikament, welches seltene, aber schwere Nebenwirkungen verursachen kann. Trotzdem wird es in der Bevölkerung teils genommen wie Bonbons.

Wie lange hält der Schutz durch die Corona-Impfung beziehungsweise nach einer Infektion?

Dr. Hempel: Immunologische Untersuchungen zeigen, dass die Schutzwirkung nach jedem Ereignis – also nach jeder Impfung oder Infektion – für circa drei Monate sehr gut ist, dann aber wieder kontinuierlich abnimmt. Eine relevante Reduktion scheint nach sechs Monaten vorhanden zu sein, wie neueste Daten zeigen. Daher raten wir allen Menschen, die auf der sicheren Seite sein wollen, sich jetzt auffrischen zu lassen. Im Regelfall ist die erste Auffrischung ja bereits circa acht Monate her.   

Ist eine vierte und fünfte Impfung denn wirklich nötig?

Dr. Hempel: Generell sollte man dazu übergehen, die Zählung der Impfungen zu verlassen. Die Influenza-Impfung zählt man ja auch nicht. Da ist eine jährliche Auffrischungsimpfung für entsprechende Personen absolute Normalität.

Wie groß ist die Gefahr von Nebenwirkungen, wenn Impfungen innerhalb relativ kurzer Abstände wiederholt werden?

Dr. Hempel: Die Erfahrungen beim Boostern Ende vergangenen Jahres haben gezeigt, dass die Impfreaktionen nicht nach oben schnellten. Die große Menge der Geimpften hat die Auffrischungsimpfung nach drei bis sechs Monaten sehr gut vertragen. Nachdem ein Großteil der Bürger bereits im November 2021 geboostert wurde, liegt die letzte Impfung zudem fast acht Monate zurück.

Ist es nicht besser, auf den neuen, angepassten Impfstoff zu warten?

Dr. Hempel: Die Erwartung an einen angepassten Impfstoff, der nicht nur einen guten Schutz gegen verschiedene Varianten des Virus‘ bietet, sondern auch einen länger vorhaltenden Impfschutz gewährleistet, ist hoch. Die Unternehmen Moderna und Biontech/Pfizer arbeiten mit Hochdruck daran, die Zulassungs- und Beobachtungsstudien laufen seit Monaten. Es ist nur leider nicht abzusehen, ob der variantenangepasste neue Impfstoff wirklich kommt und vor allem wann. Es ist möglich, dass es dann wieder zu Priorisierungen kommt und nicht jeder sofort einen Impftermin erhält. Warten auf den neuen Impfstoff birgt das Risiko einer Immunitätslücke, die man durch eine Sommer-Impfung schließen kann, wenn man will.

Interview: Ursula Eisenmann

Impfstation Gäubodenpark