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„Von nix kommt nix“

(13.12.2022)

Mohammad Bakri (27) hat nach sechs Jahren die deutsche Staatsbürgerschaft erworben. Straubing ist neue Heimat geworden, Syrien wird immer in seinem Herzen bleiben

Wenn Mohammad Bakri mit Patienten spricht, rutschen ihm immer wieder niederbayerische Sätze und Ausdrücke heraus. „I kimm glei wieder“ zum Beispiel. „Ich verstehe auch viel Dialekt“, sagt der 27-Jährige, etwa wenn Kollegen zu ihm „schick di!“ sagen. Eine seiner Leibspeisen sind Semmelknödel mit Schwammerl und er liebt es, im Bayerischen Wald zu wandern oder in den Weihern rund um Straubing zu schwimmen. Als der junge Mann vor über sieben Jahren sein Geburtsland Syrien verließ, weil er vor dem Bürgerkrieg und einer ungewissen Zukunft floh, hätte er sich alles das wohl nicht vorstellen können.

Hinter dem angehenden Pflegefachmann liegt ein langer und schwieriger Weg in einem anfangs sehr fremden Land. Es wurde eine Erfolgsgeschichte. Mohammad Bakri ist seit April dieses Jahres deutscher Staatsbürger. Er sagt freilich ganz klar: „Von nix kommt nix.“ Phasen der Unsicherheit auszuhalten, sich immer wieder durchzubeißen – das hat ihn selbstbewusst gemacht, darin hat er vielleicht so manchen Altersgenossen, die in Deutschland aufgewachsen sind, etwas voraus. „Es war eine anstrengende Zeit, aber es hat sich gelohnt.“

Zu verdanken hat er seine Einbürgerung nach sechs Jahren in erster Linie seiner Hartnäckigkeit und Zielstrebigkeit, aber auch dem Glück des Tüchtigen. Dazu zählt, dass er bei einer ehrenamtlichen Helferin aus Hunderdorf nicht nur eine Anlaufstelle und Unterstützung in Alltagsdingen fand, sondern vor allem eine Ersatzfamilie, die er „Pflegefamilie“ nennt, obwohl er damals ja bereits erwachsen war. Sie konnte ihm ein wenig darüber hinweghelfen, dass als Einziger von seiner ganzen Verwandtschaft 2015 die Heimat Richtung Deutschland verließ. „Ich habe oft nicht gewusst, wie es weitergeht“, erinnert er sich. „Aber bei meiner Pflegefamilie stand und steht die Tür immer offen.“

Er erzählt in praktisch fehlerfreiem Deutsch

Mohammad Bakri erzählt fast zwei Stunden von seinem Leben – in praktisch fehlerfreiem Deutsch. Er verwendet dabei Formulierungen wie „Ich habe mich aufgehoben gefühlt.“ Von der Flucht mit dem Flugzeug in die Türkei, dann mit einem kleinen Schlauchboot übers Meer nach Griechenland. „Wir wussten nicht, ob wir das überleben.“ Er war damals 20. Anfang Oktober 2015 kam er schließlich in Passau über die deutsche Grenze und gelangte über das Ankerzentrum Deggendorf nach Straubing. Nach einem kurzen Aufenthalt im Erstaufnahmelager in den Ausstellungshallen am Hagen landete er in einer dezentralen Unterkunft in Neukirchen im Landkreis Straubing-Bogen, weitab vom Schuss. Aber wieder hatte er Glück: Der Helferkreis organisierte einen Deutschkurs mit einem anerkannten Lehrer.

Über Praktikum zu einem sozialen Beruf gefunden

2017 konnte der heute 27-Jährige in eine kleine Wohnung nach Straubing umziehen. Seine niederbayerische Ersatzmutter unterstützte ihn bei der Suche nach Praktika. Er bekam Einblicke in den Beruf des Schreiners, des Heizungsbauers oder des Bauzeichners, sammelte Erfahrungen bei BMW und – im Klinikum St. Elisabeth. „Dann war für mich klar: Ich kann mir nur einen sozialen Beruf vorstellen“, sagt Mohammad. Dafür nahm er viele Hürden in Kauf. Um für die einjährige Ausbildung zum Pflegehelfer in Regensburg seine Straubinger Wohnung nicht aufgeben zu müssen, übernachtete er tageweise bei einer Bekannten seiner Ersatzmutter in Regensburg, deponierte an jedem Bahnhof ein Fahrrad und schaffte es so, pünktlich um 6 Uhr zum Frühdienst in der Klinik der Barmherzigen Brüder in Regensburg zu erscheinen.

Nach der Abschlussprüfung folgten drei Jahre Arbeit als Pflegehelfer im Klinikum St. Elisabeth. „Ich wollte Berufserfahrung sammeln und noch besser Deutsch lernen“, sagt der 27-Jährige. Dabei ist Mohammad voller Dankbarkeit und gerät geradezu ins Schwärmen, wenn er von seinem Berufsalltag erzählt. „Ich bin froh, dass ich so einen Arbeitgeber habe, ich habe immer Wertschätzung und Anerkennung bekommen.“ Auch mit den Patienten habe er sich von Anfang an gut verstanden. „Ich habe mich nie fremd gefühlt und wurde nie schlecht behandelt. Das hat mich motiviert, weiterzumachen.“ Seit September steuert er das nächste Ziel an. An der Berufsfachschule in Aiterhofen absolviert er die Ausbildung zur Pflegefachkraft – immer vier Wochen theoretischer Unterricht im Wechsel mit der Arbeit auf Station im Klinikum Straubing..

Nach sechs Jahren Voraussetzungen erfüllt

Nach sechs Jahren (entsprechend der aktuell noch geltenden Gesetzeslage) mit unbefristetem Aufenthaltstitel konnte sich Mohammad Bakri vor rund einem Jahr für die deutsche Staatsbürgerschaft bewerben. Er war einer derjenigen Zuwanderer, der durch besondere Integrationsleistungen alle Voraussetzungen für eine vorzeitige Einbürgerung erfüllte: Unbefristeter Arbeitsvertrag, gute Sprachkenntnisse, Mietvertrag, Krankenversicherung, Dokumente aus dem Heimatland, die seine Identität nachwiesen. Hinter allen Punkten konnte er einen Haken machen.

Der eigentliche Einbürgerungstest, dessen 350 Fragen wie etwa „Was geschah am 17. Juni 1953 in der DDR?“ hätten wahrscheinlich so manchen in Deutschland geborenen Staatsbürger vor Herausforderungen gestellt. Für Mohammad war er nur noch eine Formalität. „Man konnte sich darauf vorbereiten und ich habe im Sprachkurs schon viel gelernt über das Thema ‚Leben in Deutschland‘“.

Die Einbürgerungsurkunde, unterschrieben von Oberbürgermeister Markus Pannermayr und der rote Reisepass bedeuten für den Neu-Straubinger viel. Er freut sich, jetzt die gleichen Rechte zu haben wie alle anderen. Vor allem aber ist das Gefühl der Unsicherheit beendet: „Jetzt kann ich für immer dableiben“, sagt er, „und ich kann die Welt entdecken.“

Geteilte Meinung zur politischen Diskussion

Zu der derzeitigen politischen Diskussion über die erleichterte Einbürgerung hat er eine geteilte Meinung. „Manche motiviert der deutsche Pass vielleicht, sich noch mehr anzustrengen, aber das hängt vom Einzelfall ab. Man muss auf jeden Fall etwas dafür tun.“ Von nix kommt nix. Für die nächsten Schultage muss sich Mohammad noch auf mehrere Fächer vorbereiten, jede Woche werden zwei Schulaufgaben geschrieben.

Auf dem Plan stehen unter anderem Anatomie, Prävention, Pathogenese und Sozialkunde. Während der Wochen auf Station muss er manchmal zwölf Tage am Stück arbeiten. „Das ist anspruchsvoll“. Trotzdem denkt er daran, sich später noch weiter zu spezialisieren, etwa auf Intensivpflege oder Onkologie.

Für Hobbies und Freunde bleibt da wenig Zeit, man muss sich organisieren. Diese wohl sehr deutsche Lebensart hat Mohammad teilweise bereits übernommen. „In Syrien ist es ganz normal, einfach spontan bei jemandem vorbeizukommen. Das geht in Deutschland nicht, man muss immer zwei oder drei Wochen vorher etwas ausmachen.“

Vieles andere liebt er vor allem an Straubing und Niederbayern, gerade ist es die Adventszeit mit den Christkindlmärkten, die er auch in Regensburg und Passau schon besucht hat. Im vergangenen Jahr hat er einen Skilanglauf-Kurs absolviert, in diesem Winter will er unbedingt das alpine Skifahren probieren.

Er fährt am liebsten mit dem Radl durch die Stadt, obwohl er auch den Führerschein hat. „Ja, Straubing ist Heimat geworden“, sagt Mohammad und fügt hinzu: „Aber Syrien, wo noch meine Eltern und meine Familie leben, bleibt immer in meinem Herzen.“ 

Quelle: Eva Bernheim, Straubinger Tagblatt vom 10.12.2022

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