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Von der Routine des Ausnahmezustands

(02.03.2021)

Wie Pflegekräfte auf der Intensivstation unseres Klinikums die Monate der Pandemie ganz nah an schwerstkranken Covid-19-Patienten erlebt und empfunden haben - und immer noch empfinden

Intensivstation. Das ist ein Ort der Hoffnung. Dort hilft Hightech und engmaschige Pflege schwerkranken und -verletzten Patienten oder frisch Operierten über lebensbedrohende Phasen hinweg. Ein in Besucheraugen steriler, ein nüchterner Ort, wo die Pflegekräfte aber ganz nah am Patienten sind. Orte des Aufgehobenseins. In Coronazeiten haben Intensivstationen darüber hinaus noch einen anderen Klang bekommen. Den von Krise. Weil sie auch Patienten versorgen, die von Corona so schwer krank wurden, dass sie Hightech- Unterstützung und intensive Betreuung brauchen. Die Bilder von Intensivstationen weltweit sind jedem im Kopf geblieben, von Menschen, die im Koma sind, beatmet und in Bauchlage. Und von Pflegekräften in Schutzkleidung, die etwas von Katastrophen-Thrillern wie „Outbreak“ hat. Und Bilder von Überbelegung. Auf politischer Ebene wurde und wird versucht, zu verhindern, dass jene Intensivstationen womöglich nicht mehr jedem, der es braucht, Hilfe zuteilwerden lassen können.

Die Intensivstation am Klinikum hat 28 Betten. In Hochphasen waren bis zu neun Covid-19-Patienten gleichzeitig da. Was das für die Pflegekräfte an dieser Front der Corona-Pandemie bedeutet, wie sie ihre Situation empfinden, darüber haben drei Intensivpflegekräfte mit uns gesprochen. Der Reiz ihrer Arbeit liegt für Petra Rücker, stellvertretende Stationsleitung, auf der Hand. Und sie macht den Job, der viel mehr ist als Job, schon 38 Jahre. „Jeden Tag neue Situationen. Das ist keine Routine wie auf anderen Stationen.“ Man könne viel bewirken, habe mehr Zeit für den einzelnen Patienten. „Wir werden noch mehr gefordert. Wissensmäßig. Wir lernen ständig dazu. Intensivpflegekräfte sind eine Klientel für sich“, sagt sie und lacht. „Das ist eine Mentalitätsfrage.“ Und jeder sei auf den anderen angewiesen. Aufs Team. Das Befinden kann sich ganz schnell ändern.

Julia Janker hat vor zwei Jahren ihr Examen absolviert und arbeitet seitdem auf der Intensivstation. Sie gibt zu, zu Beginn der Corona-Pandemie hatte sie selber ein bisschen Angst. Zwischenzeitlich habe man aber ein Jahr Erfahrung im Umgang mit Covid-19-Patienten. „Man kennt das Krankheitsbild. Man weiß, dass sich das Befinden ganz schnell ändern, ohne offensichtliche Vorzeichen rapide verschlechtern kann.“ Was ihr immer nachgehe, ist das Besuchsverbot. Überhaupt und besonders, wenn es jemand nicht schafft und es ans Sterben geht. Allein sterben zu müssen, ist in ihren Augen eine furchtbare Vorstellung. Das sei sehr belastend auch für die Pflegekräfte. „Wir wissen, wie auch die Angehörigen darunter leiden.“ Deshalb ist sie froh, dass man es nach Rücksprache mit den Ärzten Angehörigen möglich mache, ans Bett von Sterbenden zu kommen und sich zu verabschieden. Auch der Pfarrer. In kompletter Schutzkleidung allerdings. „Wir helfen dann beim ordnungsgemäßen Anziehen.“

Arbeit in Schutzkleidung ist schweißtreibend

Der Umgang mit dem Tod ist etwas, was zur Arbeit von Pflegekräften zwangsläufig dazugehört. „Wenn alte Menschen sterben, empfindet man das anders als bei jüngeren“, sagt Julia Janker. „Die alten Menschen hatten wenigstens die Chance, ihr Leben zu leben.“ Harry Much hat vor drei Jahren sein Examen abgelegt und ist seitdem auf der Intensivstation tätig. Vor der Coronapandemie sei die Arbeit allein dadurch leichter gewesen, sagt er, weil man keinen Vollschutz habe tragen müssen, wenn man bei einem Patient am Bett war. Die Schutzausrüstung bestehe aus einem langärmligen Kittel aus Kunststoff, unter dem man sehr leicht schwitze. Die Arbeit am Patienten sei auch körperlich fordernd und entsprechend schweißtreibend. Dazu kommen zwei Paar Gummihandschuhe, eine Schutzhaube, mindestens eine FFP-2-Maske, eine Schutzbrille oder ein Visier. „Das muss man beim Betreten jedes Covid- Patientenzimmers anlegen und danach wieder ausziehen. In einer festgelegten Reihenfolge, die uns unser Hygienemanagement vorschreibt.“ Wenn man gerade alles abgelegt habe und derselbe Patient brauche einen gleich wieder, gehe alles wieder von vorn los. Zig-mal am Tag.

Patienten und Angehörige sehen sich am Bildschirm

Auch das Tragen der FFP-2-Maske über längere Zeit sei anstrengend. Einen beatmeten Patienten in Bauchlage zu bringen, sei aufwendig. „Da braucht man drei, vier Pflegekräfte“, sagt Petra Rücker. Alle in voller Schutzkleidung. „Wir sind reingewachsen.“ Es sei Normalität geworden zu wissen, wie man sich schützt. „Der Großteil von uns ist inzwischen zweimal geimpft.“ Auch Harry Much bekommt viel von den Sorgen Angehöriger mit. „Viele rufen sehr oft an.“ Die Sorge, die Ungewissheit treibe sie um. „Das versteht jeder von uns.“ Man müsse dann versuchen, gemeinsam einen Modus zu finden. Inzwischen besitze die Intensivstation ein Tablet, mit dem Patienten mit Angehörigen Videotelefonate führen könnten. „Das ist eine wunderbare Möglichkeit – und sehr emotional.“ Was nimmt man als Intensivpfleger mit, wenn man seit einem Jahr schwerkranke Covid-Patienten vor Augen hat und eng begleitet? „Wir wissen, dass Corona nicht ohne ist. Es ist nicht zu verharmlosen. Und das Fatale ist, dass wer gestern noch negativ war, heute schon positiv sein kann“, sagt Petra Rücker. Es gebe symptomlos Erkrankte, die dennoch anstecken können. Angst habe sie nicht, mit der Schutzkleidung und den FFP-2-Masken, mit denen man hier generell die Patienten betreue, fühle sie sich relativ sicher. „Wir vertrauen unseren Schutzmaßnahmen. Wir kennen die Risikogruppen inzwischen. Wir haben schon so viel überstanden“, sagt sie. Kollegen hätten mehrfach in Quarantäne gemusst, meist als Kontaktpersonen im privaten Bereich. „Manchmal meinten wir, es geht nicht mehr weiter.“ Personal-Engpässe. „Aber dann ist immer jemand eingesprungen. Wir halten zusammen.“ Aus ihrer Tätigkeit ausgestiegen seien in den vergangenen Monaten sehr wenige.

Die Erfolgserlebnisse bauen einen auf

Was einen aufrechterhalte und immer wieder aufbaue, seien die Erfolgserlebnisse, sagt Petra Rücker. „Da zehrt man davon.“ Von Rückmeldungen dankbarer Angehöriger und von jedem Fortschritt, den man bei einem Coronapatienten erreiche. „Dann hat sich alle Mühe gelohnt.“ Wenn man schwer erkrankte Menschen oft 20 bis 30 Tage betreue, mit ihm „das komplette Programm von Beatmung bis Bauchlage“ durchmache, baue man eine Bindung auf, sagt Harry Much. Vor kurzem hatte er einen solchen Patienten. Er konnte auf die Normalstation verlegt werden. Für Much und seine Kollegen wieder ein kleiner Sieg. „Es geht ihm gut.“ Selbst wenn es manchmal nicht gut ausgehe, seien die Angehörigen dankbar für die Fürsorge für ihren Verwandten. Und für den Draht zu ihnen. „Wir haben die vergangenen Monate oft Karten und Süßigkeiten bekommen.“

Haben vor Augen, was Covid-19 anrichten kann

Petra Rücker betont, dass die Intensivstation am Klinikum zu jeder Zeit ausreichend Schutzkleidung verfügbar hatte. Das sei anders als in mancher Großstadt und Großklinik. Gerade wegen der hohen Schutzmaßnahmen fühle er sich sicher, sagt Harry Much. „Und weil man weiß, warum man es macht.“ Umso grantiger machen ihn Coronaleugner. „Wir haben täglich vor Augen, was diese Krankheit anrichten kann.“ Und Much glaubt nicht, dass sich das schnell ändern werde. „Wenn die Leute müde werden, sich an die Hygieneregeln zu halten, werden die Zahlen wieder steigen.“ Dieser Tage seien einmal nur zwei Coronapatienten auf der Station gewesen. Das müsse man nutzen, um Kraft zu tanken. Spitzenbelegungen seien belastend. „Da kann man schon ans Limit kommen zwischendurch“, sagt Much. Das Gros der Patienten auf der Intensivstation sind nicht Coronapatienten, sondern Menschen mit Herzinfarkten, Schlaganfällen oder nach schweren Unfällen. „Wir können froh sein über die geregelten Strukturen am Haus und in der Region überhaupt“, meint Petra Rücker. OP-Kapazitäten seien heruntergefahren worden, Patienten würden per Leitstelle/ Koordinierungsarzt gut regional verteilt. In ganz großen Kliniken in Großstädten sei es hingegen mehr als einmal ans Limit gegangen.

Intensivstation ist einschneidende Erfahrung

Nicht nur mit den Pflegekräften macht diese Krise etwas. Auch mit den Patienten. Ein Aufenthalt in einer Intensivstation sei für jeden Patienten eine einschneidende Erfahrung, die ihn präge, ist Petra Rückers Erfahrung. Auch ohne Corona. Aber jetzt ganz besonders. Viele Patienten formulierten im Gespräch am Bett ihre Angst vor Spätfolgen. Atemprobleme seien besonders belastend. Vor allem sei es nicht leicht, nach einer Beatmung wieder in ein normales Atmungsmuster zu kommen. „Die allermeisten fühlen sich auf einer Intensivstation gut aufgehoben.“ Haben sie das Gefühl, dass ihnen von der Gesellschaft Wertschätzung entgegengebracht wird? Anfangs schon, sagt Harry Much. Jetzt nicht mehr so viel. Auch von Boni sei keine Rede mehr. Das sei schon ein Gefühl von Verschaukelt werden. „Das Interesse nimmt ab“, sagt auch Petra Rücker. Kürzlich sei eine Kollegin beim Bäcker gewesen. Er habe ihr Kuchen mitgegeben für die Station. „Wir sind nicht überall vergessen“, sagt sie, „Wir haben uns gefreut.“ Von der Politik fühlt sie sich vergessen. „Sie hätte aus dieser Krise lernen müssen, dass man an der Stellschraube Pflege drehen muss.“ Und da gehe es nicht nur um Geld, es gehe um ausreichend Personal und damit um entspanntere Arbeitsbedingungen. Ihre Botschaft: Man sollte nicht in Angst vergehen wegen Corona. Aber es auch nicht auf die leichte Schulter nehmen. „Es kann jeden treffen. Und nur weil man bis dahin gesund war, muss man nicht schadlos aus der Erkrankung herauskommen.“ Da habe jeder Verantwortung, und sei auch in der Pflicht. Für sich selber und damit für die anderen.

Quelle: Monika Schneider-Stranninger, Straubinger Tagblatt, 27.02.2021