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Gewalt im Rettungseinsatz

(20.01.2020)

Wie man Leben rettet und gleichzeitig sich und andere schützt– Fortbildung am Klinikum St. Elisabeth

Immer öfter sind Rettungskräfte im Einsatz nicht mehr nur mit Opfern von Gewaltverbrechen konfrontiert, sondern werden selbst zur Zielscheibe körperlicher Übergriffe. Aus diesem Grund folgten mehr als 130 Notärzte, Rettungsdienst- und Klinikmitarbeiter am Mittwochabend der Einladung der Klinik für Anästhesiologie, Operative Intensivmedizin und Schmerzmedizin an das Klinikum St. Elisabeth, um sich von renommierten Referenten Tipps zum richtigen Verhalten an einem mutmaßlichen Tatort, aber auch im Umgang mit dem Verdacht auf Kindesmisshandlung und aggressiven Mitmenschen geben zu lassen. Die gute Nachricht des renommierten Trainers für Sicherheit am Einsatzort, Dr. Ken Oesterreich, war: „Sie machen es öfter richtig, als Sie denken. Dies ist aber kein Grund, sich zurückzulehnen, sondern alle Erfahrungen zu systematisieren und gemeinsam zu nutzen, denn: Bestimmte Erfahrungen muss man nicht selbst machen.“ 

Der Ärztliche Leiter Rettungsdienst des Rettungsdienstbereiches Straubing und Oberarzt Anästhesie am Klinikum, Christian Ernst, berichtete in seinen einführenden Worten von einem bewegenden Christoph 15-Einsatz im Landkreis, bei dem eine Schwangere von ihrem Ex-Partner niedergestochen worden war. Der Rettungsdienst habe um das Leben der Frau und des Ungeborenen gekämpft. Dabei habe man natürlich massenhaft Spuren am Tatort hinterlassen und so die anschließende Spurensicherung erschwert. An diesem Beispiel erläuterte Ernst, wie wichtig es sei, auch in außergewöhnlichen Situationen den Blick für das Gesamtbild offen zu halten, gerade an der Schnittstelle zwischen Lebensrettung, die natürlich absoluten Vorrang habe, und den trotzdem ebenfalls wichtigen Aspekten Sicherheit, Straftatvereitelung und Strafverfolgung. Viel zu oft führten Gedankenlosigkeit und Ignoranz gegenüber der Arbeit der Polizei dazu, dass Spuren unnötigerweise, oft erst nach Ende der Akutmaßnahmen, zerstört werden. Dies müsse man gemeinsam verhindern.

Kriminaldirektor Werner Sika, Leiter der Kripo Straubing, erklärte die Ablauforganisation des Polizeipräsidiums Niederbayern. Nicht immer sei bei einem Einsatz im ersten Moment klar, ob es sich um einen Tatort handele. In der ersten Phase stehe natürlich die Rettung von Leben im Vordergrund. Der Blickwinkel der Kripo, die im Falle eines Vergehens den Sachverhalt aufzuklären habe, sei jedoch ein anderer.

Auch der Leiter des Kommissariats 1, Christian Rottbauer, betonte: „Lebensrettung hat Vorrang.“ Gleichzeitig bat er die Rettungskräfte um Verständnis für die Anliegen der Kripo. Hilfreich wäre eine Information mit den Namen der Rettungskräfte, die vor Ort waren. Veränderungen wie Entkleidung oder Umlagern der Person sollten festgehalten werden. Rottbauer appellierte, Absperrungen zu respektieren bis geklärt sei, ob Helfer gefahrlos ihre Arbeit verrichten können.

Oberarzt Dr. Stephan Doering von der Kinderschutzgruppe KUNO an der Hedwigsklinik in Regensburg beleuchtete das Thema Kinderschutz im Rettungsdienst. Er sprach von 160000 körperlichen Misshandlungen und Vernachlässigungen von Kindern in Deutschland im Jahr bei hoher Dunkelziffer. „Der Kinderschutz in Deutschland ist noch sehr jung.“ Im Jahr 2000 sei die Prügelstrafe abgeschafft worden. Erst seit 2012 gebe es ein Bundeskinderschutzgesetz, das Tierschutzgesetz bestehe schon seit 1933.

Vernachlässigung fordere mehr Todesopfer als körperliche Misshandlung, berichtete Dr. Doering. Kindeswohlgefährdung gebe es in allen gesellschaftlichen Schichten. Stumpfe Gewalt wie Schläge komme ebenso wie thermische Gewalt und das Schütteltrauma häufig vor. Nach Weichteilverletzungen seien Brüche der zweithäufigste Befund bei körperlicher Misshandlung. „Jedes Hämatom bei Kindern unter vier Monaten ist verdächtig.“

Der Anteil der Kindernotfälle im Rettungsdienst liege bei etwa 13 Prozent, sagte Dr. Doering. Der überwiegende Teil der Patienten könne nicht sprechen. Aussagen und Auffindesituationen sollten vom Rettungsdienst genau dokumentiert werden. Die Plausibilität von Unfallbeschreibung und Verletzung sei zu prüfen. Eine unmittelbare Konfrontation der Eltern bei Misshandlungsverdacht sei wenig hilfreich. Eine Überweisung an eine Kinderklinik sei der bessere Weg. Polizei und Jugendamt sollten bei Verdachtsfällen eingeschaltet werden.

„Der Respekt der Bürger vor Helfern nimmt ab. Die Gesellschaft wird aggressiver“, klagte Andreas Holzhausen, Initiator des Aktionsbündnisses „Lass Retten“. Die Zahl der geschädigten oder verletzten Polizeibeamten habe sich innerhalb von acht Jahren verdoppelt. Im Frühjahr soll das Aktionsbündnis bayernweit starten. Nach Meinung Holzhausens müssten auch alle Notaufnahmen Mitglied von „Lass Retten“ werden.

Dr. Ken Oesterreich sprach von einem verzerrten Bild der Wirklichkeit. Wenn Rettungskräfte von einem Betrunkenen angegangen werden, werde darüber berichtet. Gelinge es ihnen, einen aggressiven Betrunkenen zu beruhigten, sei das aber keine Meldung wert. Er stellte einen sehr eingängigen ABCDE-Algorithmus zur Bewältigung bedrohlicher Situationen im Rettungseinsatz vor, der das künftige Verhalten auch erfahrener Rettungskräfte in brenzligen Situationen wohl nachhaltig prägen wird. -urs-