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„Fast in Vergessenheit geraten“

(13.06.2022)

Viele wollen einfach nur den Sommer genießen – verständlich nach den tristen Corona-Monaten. Doch der Inzidenzwert steigt wieder leicht an. Was das nun bedeutet

Am 30. Mai lag die Sieben-Tage-Inzidenz in der Stadt bei 111. Der niedrigste Wert seit Oktober. Doch das ändert sich nun. Darüber haben wir mit Prof. Dr. Norbert Weigert, Chefarzt der I. Medizinischen Klinik und stellvertretender Ärztlicher Direktor des Klinikums St. Elisabeth, und Dr. Julia Hempel, Leiterin der Impfstation des Klinikums im Gäubodenpark, gesprochen.

Aktuell liegt die Inzidenz in Straubing bei 180 (Stand Freitag). Das ist wieder ein Anstieg. Wie bewerten die Ärzte am Klinikum diesen Trend? Sind das die Nachwirkungen der Pfingstfeiertage?

Prof. Dr. Norbert Weigert: Aufgrund der Corona-Pandemie musste die Bevölkerung lange Zeit erhebliche, medizinisch dringend erforderliche Einschränkungen ihrer Lebensführung hinnehmen. Die weiterhin bestehende, relativ hohe Inzidenz dürfte in erster Linie dadurch zu erklären sein, dass die Bevölkerung diese Einschränkungen abgelegt hat, wieder kontaktfreudiger wird, das Leben in Gesellschaft wieder mehr genießen will, und dabei unter anderem auf das Tragen von Schutzmasken, die sich als wirksame Schutzmaßnahme bewährt haben, verzichtet. An Feiertagen und in den Ferien werden besonders viele Kontakte gepflegt. Dadurch steigt das Risiko einer Übertragung dieser Virusvariante. Dieses Infektionsrisiko wird leider von vielen Bürgern unterschätzt.

Dr. Julia Hempel: Es scheint, als sei Corona sehr schnell fast in Vergessenheit geraten. Die Maskenpflicht ist entfallen, die Hygienemaßnahmen werden nach meiner Beobachtung nur mehr sehr selten beachtet. Der Abstand zu Mitmenschen wird zunehmend reduziert. Es gibt unlimitierte Treffen, Diskotheken haben wieder offen etc. Das hat natürlich Effekte auf die Verbreitung eines Virus. Aber man darf nicht vergessen, dass wir auch eine reduzierte Testpflicht haben, soll heißen: wenig getestet, wenig erfasst. Immer wieder hört man „ich habe Corona zum zweiten Mal, milde Symptome, mein Schnelltest daheim war positiv, aber PCR habe ich keinen machen lassen, wozu auch, habe mich einfach selbst isoliert“. Diese Fälle zählen dann nicht zur Inzidenz. Was ich damit sagen möchte: Ich habe große Zweifel, ob die erfasste Inzidenz der wahren Inzidenz der Region entspricht, somit ist diese Messgröße nur noch bedingt als Richtgröße aussagekräftig. Sicherlich spielt aktuell aber auch die meteorologische Entwicklung mit ihren Effekten auf die Pandemie eine Rolle. Hitze und Trockenheit mag das Corona-Virus einfach nicht. Kurzum: Ich finde, die Inzidenz sollte kritisch als Marker der pandemischen Verbreitung betrachtet werden.

Wie ist die aktuelle Lage am Klinikum? Wie viele Menschen mit einer Corona-Infektion befinden sich derzeit dort? Kann man etwas zu Altersstruktur, Impfstatus und Verlauf der Krankheit sagen?

Weigert: Im Klinikum wurden in der letzten Woche täglich zwischen drei und sieben Patienten mit einer Corona-Erkrankung behandelt. Die meisten Patienten werden auf der Isolationsstation behandelt. Eine intensivmedizinische Behandlung ist derzeit nur noch für wenige Patienten erforderlich. Die Patienten, die derzeit stationär behandelt werden müssen, sind in der Regel älter oder haben gravierende Begleiterkrankungen. Es ist äußerst bedauerlich und für mich und meine Kollegen unverständlich, dass auch weiterhin Menschen in höherem Lebensalter oder Menschen mit einer Abwehrschwäche eine Impfung ablehnen und dadurch keinerlei Infektionsschutz haben.

In Portugal breitet sich die Variante BA.5 aus und treibt dort die Infektionen nach oben. Wie bewerten die Ärzte am Klinikum diese Entwicklung? Was bedeutet das für Straubing?

Weigert: Wenn wir die Dynamik der Ausbreitung neuer Virusmutanten während der letzten Infektionswellen analysieren, dann müssen wir leider davon ausgehen, dass die relativ neue Variante BA.5 auch bald in Straubing ankommen und leider zu wieder steigenden Infektionszahlen führen wird. Zur raschen Ausbreitung dieser Virusvariante wird insbesondere auch die Reiseaktivität während der Pfingstferien beitragen. Allerdings kann sich jeder Bürger durch ein vernünftiges Verhalten selbst schützen. Wir alle haben gelernt, dass wir uns durch einfache Maßnahmen wie Abstandhalten, Niesetikette, Händewaschen und Maskentragen schützen und dadurch unser Infektionsrisiko deutlich reduzieren können.

Hempel: Das Wesen einer viralen Pandemie ist generell auch der Aspekt der Mutation. Es wird immer wieder neue Varianten geben, die sich in Übertragbarkeit und Morbidität unterscheiden. Die Omikron-Variante BA.5 wird sicher Effekte haben, aktuell scheint der Verlauf aber moderat. Hauptsache ist, dass es nicht zu einer Variante kommt, die sich stark in ihrer krankmachenden Fähigkeit und der Übertragbarkeit unterscheidet, das wäre durchaus ein größeres Problem.

Wie bereiten sich die Mitarbeiter des Klinikums auf den Herbst vor?

Weigert: Wir müssen leider davon ausgehen, dass im Herbst die Infektionszahlen wieder steigen werden. Wir haben alle Maßnahmen, die während der letzten Infektionswellen umgesetzt wurden, im Krisenstab kritisch analysiert. Viele Maßnahmen konnten zwischenzeitlich deeskaliert werden, allerdings könnten diese im Bedarfsfall rasch wieder reaktiviert werden. Beispielsweise konnte unsere Corona-Station aufgrund der geringeren Infektionszahlen verkleinert werden. Sie ist aber weiterhin voll in Betrieb und könnte rasch an wieder steigende Patientenzahlen angepasst werden. Vorausschauend wird schon jetzt in neue Labortechnik investiert, um durch leistungsfähigere Analysatoren mögliche Infektionen noch schneller und sicherer nachweisen zu können. Unsere Mitarbeiter werden laufend über ihren Impfstatus informiert und über eventuell erforderliche Auffrischungsimpfungen beraten.

Hempel: Wir in der Impfstation arbeiten bereits jetzt an Konzepten, um im Herbst rasch und unkompliziert eine große Anzahl an Impfungen vornehmen zu können. Wir rechnen besonders nach der Freigabe und Auslieferung des variantenangepassten Impfstoffes, an dem aktuell mit Hochdruck gearbeitet wird, mit einer erhöhten Anfrage bei den Hausärzten und bei uns. Auch die auslaufenden Impfzertifikate mit 270 Tagen – also neun Monaten – und die Vorgabe der Dreifach-Impfung bis Ende September zum Erhalt der Immunisierung könnten schon bald zu einer vermehrten Nachfrage führen. Wir wollen mit Blick in den Herbst unser Impfangebot speditiv aber zugleich maximal menschlich und empathisch gestalten. Impfung mit Herz eben, diesem Motto werden wir unbedingt treu bleiben, auch wenn die Nachfrage sicher wieder sehr hoch sein wird. Die Option der Terminbuchung online oder auch telefonisch wird an Relevanz gewinnen, um den reibungslosen Ablauf mit minimaler Wartezeit zu gewährleisten. Wir planen, neben dem Online-Angebot auch eine telefonische Termin-Hotline einzurichten.

Beratung in der Impfstation

Wichtig wäre, dass sich jeder kritisch mit seinem individuellen Schutz gegen Corona, sei es durch Impfung oder durch eine durchgemachte Infektion, auseinandersetzt“, sagt Dr. Julia Hempel, Ärztliche Leitung der Impfstation des Klinikums St. Elisabeth im Gäubodenpark. Drei bis sechs Monate nach der letzten Impfung oder Infektion lasse die Immunantwort bereits wieder langsam nach. Dem gegenüber stehe die persönliche Risikokonstellation – wie Alter, Vorerkrankungen, berufliche und private Kontaktfreudigkeit. „Es geht nicht nur um den Schutz vor eigener Erkrankung, sondern auch um den Schutz des persönlichen Umfeldes“, sagt sie. „Wer ausreichend immunisiert ist, verbreitet das Virus auch weniger.“Wer sich unsicher ist, wie er verfahren soll, kann sich jederzeit zum unverbindlichen Beratungstermin an die Impfstation im Gäubodenpark wenden, Telefon 09421/963-4440. -phi-

Interview: Sophie Schattenkirchner, Straubinger Tagblatt vom 11.06.2021


Impfstation Klinikum Straubing
Gäubodenpark (in den Räumen des früheren Tchibo-Outlets)
Hebbelstr. 14
94315 Straubing

Öffnungszeiten: Montag bis Freitag: 8.30 bis 17 Uhr
Telefon: 09421/963-4440

Anmeldung Impfung