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Einmal alles mit allem

(28.12.2018)

Heiligabend in der Notaufnahme: Aufnehmen, abklären, diagnostizieren, handeln, reden

Fast 22.30 Uhr, eine junge Frau im roten Mantel und gleichfarbigen Abendkleid tippt vor der Notaufnahme in ihr Handy. Sie wirkt aufgeregt und erleichtert zugleich. Sie hat jemanden an Heiligabend in das Klinikum St. Elisabeth begleitet und gibt anscheinend gerade Familie und Freunden „Entwarnung“. Ihr Puls ist wahrscheinlich hoch, der vom Team der Notaufnahme nicht, „heute ist eher noch ein ruhiger Tag“. Wir haben Ärzte und Schwestern am 24. Dezember bei der Tag- und der Nachtschicht begleitet.

Was einem auffällt, und was wahrscheinlich bei einem Besucher unbewusst geschieht: Das Team der Notaufnahme mustert einen beim Vorstellen. Man hat so das Gefühl, dass da eine Checkliste abläuft: keine äußeren Verletzungen, kann gehen, zeigt keine Schmerzen. Noch vor dem Handschlag hat man die erste wichtige Stufe der Notaufnahme hinter sich gebracht. Die Einordnung. Die hängt auch im Wartezimmer in fünf Stufen aus, von Rot (akute Lebensgefahr) bis Blau (nicht dringend). Im Laufe des Tages wird klar, dass Patienten und Notaufnahme manchmal unterschiedlicher Einschätzung sind, zu welcher Stufe jemand gehört.

Unaufgeregt konzentriert in allen Situationen

Unaufgeregt, angespannt, konzentriert kann man das kollegiale Arbeitsklima beschreiben. Stress herrscht oft, da muss man nicht selbst dazu beitragen. Außerdem will und muss man der „Kundschaft“, die oft eine Ausnahmesituation erlebt, Ruhe vermitteln. Hektik bringt keinem etwas. Egal, ob Ärzte oder Schwestern, jeder schaut im Gespräch auch mal im Seitenblick auf einen Beobachtungsmonitor, beantwortet einen Anruf oder gibt einem  Vorbeilaufenden eine Anweisung mit.

Christian Thiel, Leiter des Notfallzentrums, erklärt, dass man in etwa „100 Fälle am Tag durchschleust“, das heißt, man ist das Bindeglied zwischen Praxen und Rettungswägen, die Patienten überstellen oder einliefern, und den Stationen des Klinikums oder Spezialabteilungen anderer Krankenhäuser. 14 Ärzte, darunter vier Oberärzte, sind mit über 40 Pflegekräften in der Notaufnahme fest eingesetzt. Abends werden die Ärzte von den Stationen des Klinikums gestellt. Etwa 35000 Patienten hat man im Jahr. Rund 40 Prozent der Hilfesuchenden müssen stationär aufgenommen werden.

Feiertags sind es unterm Strich ungefähr so viele wie am Wochenende. „Zu tun hat man immer viel“, erklärt Thiel. Wellenbewegungen gibt es. Im Winter weniger kleinere Traumata. Die sind im Sommer mehr, sprich Sportverletzungen. Im Winter haben es die Chirurgen etwas ruhiger – mit einer großen Ausnahme, bei (Blitz-)Glatteis. Ein Sommerloch merkt man auch, vielleicht, weil da viele im Urlaub sind?

Typ: belastbar und sozialkompetent

Spannend ist es immer, weil keine „geplanten Patienten kommen“. Was versteckt sich hinter Kopf oder Bauchschmerzen? „Wir machen mittlerweile viel Diagnostik“, betont Thiel. Auch will man es Patienten ermöglichen, wieder „nach Hause zu kommen“. Der Typ, der in der Notaufnahme gebraucht wird, egal ob Arzt oder Schwester, muss eine hohe Sozialkompetenz haben – „man muss sich in die Patienten hineinversetzen können“. Zum einen, wie dieser sich ausdrückt, um Hinweise für die Diagnose zu bekommen, zum anderen, dass das für ihn ein Notfall ist, auch wenn das ein Hausarzt morgen noch richten könnte. Das muss man können, sonst wird man auf Dauer frustriert. Außerdem müssen es Menschen sein, die gerne mit Stress umgehen. Einmal in Sinne von Arbeitsbelastung, „weil einfach viel zu tun ist“ und dann auch in den „seconds of terror“, die man ab und zu hat. Das fange das Team aber immer gut ab. Schichtdienst und Wochenendarbeit muss man natürlich auch können. Aber es ist interessant, in der Notaufnahme zu arbeiten, weil man mit allen Fachbereichen der Medizin zu tun hat.

Lieber heute Dienst, dafür morgen Zeit für Oma

Dr. Christoph Reichenbächer und sein Team begrüßen einen am späten Vormittag. „Pfiad Gott, wir hams“, verabschiedet sich gerade ein Vater mit seiner leicht humpelnden Tochter. Sie sind froh, dass sie nicht an Heiligabend im Klinikum bleiben muss. Egal ob Tag- oder Nachtschicht. Nicht alle haben Zeit für ein Gespräch, aber in ruhigen Minuten erzählen auch Dr. Sadagat Baklshiyeuck, Dr. Paul Schubert, Dr. Max Spoeulda, Dr. Michael Igl, Dr. Johann Heppel Lisa Bachl, Daniel Gößmann, Erna Zollner, Nadine Armthor, Elisabeth Vogt und freiwillig bei der ersten Nachtschicht, Schwesternschülerin Simona Niggl. 24-Stunden-Dienst hat aber auch die angeschlossene Radiologie täglich, nicht nur für die eigene Notaufnahme, sondern auch per Vernetzung wertet man für drei andere Kliniken eilige Aufnahmen aus. Verbunden ist man durch den Schockraum.

Die Gründe, warum einer an Heiligabend Dienst hat, sind vielfältig. Wochen vorher konnte man sich am Dienstplan einschreiben. Der eine, weil er am nächsten Tag frei haben will, „am richtigen Weihnachten“, weil da die Oma besucht wird. Andere haben den Dienst gewählt, damit die Kollegen, die Kinder haben, Zeit für diese haben, Jüngere wählen Weihnachten, weil man dann an Silvester frei hat, andere, weil die Frau gleichzeitig auf der anderen Station arbeitet. Der andere hat vorher noch mit der Familie gegessen und den 19-Uhr-Gottesdienst in der Klinikkapelle besucht – „Familie, Essen, Gottesdienst, war doch alles dabei!“. Bei der Nachtschicht der Krankenschwestern, sieben Nächte am Stück, sei die erste Nacht immer die, wo der Durchhänger gegen 4 Uhr in der Früh am schlimmsten ist, „da kommt man aber rein“.

Schuhe, und was falsch läuft in der Notaufnahme

Von Weihnachten selbst merkt man in der Notaufnahme wenig. Eine Schwester trägt eine rote Schleife mit weißen Enden und Mistelmuster im Haar, das war es aber eigentlich schon. Ein bisschen merkt man den Typ, der hinter der gemeinsamen Kleidung – weiße Hose, blaues weites Hemd – steckt, an den Schuhen. Viele haben praktische Crocs, andere Turnschuhe. Die Hälfte bevorzugt einfache Farben, andere drücken damit ein bisschen ihre Individualität aus. Zum Beispiel mit Feuerrot beim Assistenzarzt oder Rosa mit Strass bei der jungen Schwester oder bequem und leicht sportlich in Braun beim älteren Arzt. Ansonsten ist alles rational eingerichtet und genau beschriftet, damit jeder alles sofort findet. Irgendwas Persönliches findet sich nicht. Doch, in einer Ecke hängen zwei Computerausdrucke von „Maurice“, der kleine Lemur aus dem Kultzeichentrickfilm „Madagaskar“. Mit seiner Rollen-Definition könnte er vielleicht ein Wappentier der Notaufnahme sein: „Rational und mit beiden Füßen auf dem Boden, ist Maurice die letzte Bastion der Vernunft im ansonsten durchgeknallten Dschungelreich.“ Was falsch läuft in der Notaufnahme? Getrennt antworten Ärzte und Pflegpersonal gleich darauf: Fälle, die keine Notfälle sind. „Husten, Schnupfen, Heiserkeit“, umschreibt es einer. Die Bereitschaftspraxis der KVB gegenüber der Notaufnahme nimmt da einige Fälle ab, die schließt aber um 21 Uhr. Allen ist bewusst, dass ein Betroffener einen „Notfall“ bei sich anders einschätzt als einer vom Fach. Aber wenn einer wegen einer Schnittwunde verlangt, vor dem Herzinfarkt dranzukommen, der nach ihm angekommen ist, hört das Verständnis auf. „Den Klassiker“, der jetzt ein Notfall sein kann, aber zu vermeiden gewesen wäre, erwähnen viele andere: drei Wochen lang Schmerzen, aber keine Zeit zum Hausarzt zu gehen, lieber um 2 Uhr in der Früh in die Notaufnahme. Viele kleinere Beschwerden wären beim Hausarzt einfach besser aufgehoben. Aber einige verwechseln die Notaufnahme, die Kapazitäten für Notfälle bereit halten soll, mit einer bequemen Praxis, die man jederzeit aufsuchen kann. In die meisten dieser Fälle kann man sich reindenken, dass es für diese Menschen persönlich wirklich ein Notfall ist. Andere nutzen das System aus. Freundlich sei man zu jedem.

Todesnachrichten und der Kaffeeverbrauch

Was einem im Kopf bleibt? Das sind die schlimmen Sachen, die Kindern passieren. Aber die werden meist schnell auf Kinderfachkliniken verlegt. Aber auch der Tod von jungen Menschen, zum Beispiel Motorradfahrern, wenn die Eltern und die Freundin eintreffen, und man mitbekommt, wie sie die Todesnachricht aufnehmen. Das gilt aber auch für ältere Menschen, die zum Beispiel durch einen Herzinfarkt abrupt aus dem Leben gerissen werden. Was auch noch zu Herzen geht, wenn einer stirbt, der so alt ist wie man selbst. Die Eigentherapie dafür: „Wir reden viel miteinander, über jeden, der bei uns stirbt.“ Und dieses „darüber reden“ schätzen alle, vom Oberarzt bis zur Auszubildenden, „da steigt halt dann auch der Kaffeeverbrauch“. Aber viele Sachen muss man einfach auch hinter sich lassen, „wir haben ja ein eigenes Leben da draußen“, erklärt eine Krankenschwester. Sport machen viele zum Ausgleich.

Vielfalt an Herausforderungen

Die Verweildauer in der Notaufnahme ist oder soll kurz sein. Patienten werden entlassen oder verlegt. Eine „Beziehung aufzubauen“, wie das die Kollegen auf Station machen können, ist da nicht möglich. Aber Ärzte und Schwestern der Notaufnahme fragen bei einigen Fällen nach, was aus ihm oder ihr geworden ist. Zum einen, weil man menschlich wissen will, wie es dem Patienten geht, zum anderen fachlich, ob man richtig gehandelt hat. In der Notaufnahme zu arbeiten, sei eine bewusste Entscheidung, sind sie sich einig. Auf Durchlauf in der Ausbildung hat jeder Arzt oder Pfleger mal Dienst hier, einige kommen wieder. Zwei Sachen reizen. Zum einen die Herausforderung, das Ungewisse meistern zu müssen. „Wenn man seine Schicht antritt, weiß man nie, was einen heute erwartet.“ Zum anderen das breite Spektrum, bei dem man viel lernen kann. In der Notaufnahme schlägt jeder Fall auf, zwischen Beinbruch und Herzinfarkt müssen Schnupfen und Nierensteine behandelt werden. „Man lernt hier wirklich viel.“ Langweilig wird es nie. Und, das gibt nur ein kleiner Teil offen zu, der Adrenalinkick ist auch ein kleiner Anreiz. Wäre ein Tag in der Notaufnahme eine Bestellung im Restaurant, wäre die Order: „Einmal alles mit allem.“

Ein Dankeschön gibt es selten. An einige erinnert man sich aber gern. Zum Beispiel an das Ehepaar, das am Samstag heiraten wollte, und am Freitagabend mit Durchfall eingeliefert wurde. Angesteckt vom kleinen gemeinsamen Kind. „Das haben wir hinbekommen“, erinnert man sich schmunzelnd. Die Mutter, die es nicht mehr in den Kreißsaal schaffte, hat man auch noch im Kopf. Das Kind kam gesund in der Notaufnahme zur Welt. Was alle mit einem sorgenvollen Blick erwarten, ist die Grippesaison, die jetzt dann wieder startet. Für ältere Menschen kann das gefährlich sein und vor allem bedeutet es, dass jeder Patient isoliert werden muss. Das braucht Platz, oft mehr als man hat. Und zeitgleich soll in einer Notaufnahme immer Platz für neue Fälle sein. Am Wochenende oder im Volksfest hat man auch einen Sicherheitsdienst. Wenn es gar nicht mehr hilft, ruft man die Polizei.

Schöne Erlebnisse in der Notaufnahme?

Gibt es etwas Schönes in der Notaufnahme? Die Frage, die man als Außenstehender stellt, der sich denkt, hier kommen doch nur Menschen mit Problemen und Tragödien herein, wird durchgehend lächelnd beantwortet. Wir sind ja hier, um Menschen zu helfen. Oft können wir sie von Schmerzen befreien, aber auch eine Diagnose zu stellen, und sei sie auch schlimm, das helfe Menschen oft. Sie sind dann erleichtert, zu wissen, was ihnen fehlt. Und wenn man geholfen hat, ist das ein schönes Gefühl. Und das hat man zum Glück so häufig wie Stress. Beides gibt es 24 Stunden lang täglich in der Notaufnahme.

Quelle: Scharrer, Ulli, Straubinger Tagblatt,28.12.2018