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Eine Diagnose, die das Leben verändert

(06.02.2024)

Am 4. Februar ist Weltkrebstag. Die Zahl der Krebspatienten am Klinikum hat sich in den vergangenen zehn Jahren verdoppelt. Onkologe ermutigt, Präventions-Chancen zu nutzen

Am 4. Februar findet zum 24. Mal der Weltkrebstag statt. Das Motto der Internationalen Vereinigung gegen Krebs (UICC) lautet „Versorgungslücken schließen“. Wir sprachen mit Privatdozent Dr. Jochen Grassinger, Direktor des Onkologischen Zentrums am Klinikum St. Elisabeth, über die deutliche Zunahme von Krebserkrankungen, ermutigende Therapie-Fortschritte und was jeder an vorbeugenden Möglichkeiten an der Hand hat. Aber auch, warum doch manchmal Menschen Lungenkrebs haben, ohne je geraucht zu haben.

Krebserkrankungen nehmen offenbar deutlich zu. Können Sie das beziffern, vielleicht sogar fürs Klinikum Straubing?

Dr. Jochen Grassinger: Nach Zahlen des Robert-Koch-Instituts sind 2020 rund 493 000 Menschen in Deutschland an Krebs neu erkrankt, das sind knapp 100 000 mehr als im Jahr 2000. Nach Schätzungen der Welt-Gesundheits-Organisation (WHO) geht man in Europa beziehungsweise Deutschland bis 2040 von einer Zunahme um weitere 20 Prozent aus. Ein Grund ist der Anstieg der Lebenserwartung, aber auch die demografische Entwicklung. Zum anderen spielen die Lebensumstände eine entscheidende Rolle. Das Risiko an Krebs zu erkranken, hat bei Männern etwas abgenommen, bei Frauen jedoch nicht. Dies wird auf den zunehmenden Nikotinkonsum der Frauen in den 1980er Jahren zurückgeführt. In Straubing sehen wir ebenfalls eine Zunahme der Patienten, die wir in der Tumorkonferenz des Klinikums besprechen, die Zahl hat sich in den letzten zehn Jahren verdoppelt. Das hat auch damit zu tun, dass wir im Rahmen unserer von der Deutschen Krebsgesellschaft (DKG) zertifizierten Krebszentren konsequent alle neu diagnostizierten Patienten in dem interdisziplinären Team besprechen. Aber auch die Anzahl der ambulant im MVZ-Onkologie in Straubing und Cham behandelten Patienten nimmt zu.

Gibt es bestimmte Krebsarten, die besonders häufig vorkommen? Gibt es neue, die mehr in den Vordergrund rücken?

Grassinger: Die häufigsten Krebserkrankungen bei Frauen sind Brustkrebs, Darmkrebs und Lungenkrebs, bei Männern Prostatakrebs, gefolgt von Lungenkrebs und Darmkrebs. Gerade bei den Frauen nehmen Lungenkrebsdiagnosen von 5,4 Prozent im Jahr 2000 auf 9,8 Prozent im Jahr 2020 zu, aber auch die Anzahl der Patienten mit schwarzem Hautkrebs hat sich bei Frauen wie Männern erhöht. Aber gerade bei Lungenkrebs, Darmkrebs, schwarzem Hautkrebs, genauso bei Hals-Kopf-Tumoren, kann man das Risiko zu erkranken senken, wenn man die Faktoren vermeidet, die zur Krebsentstehung beitragen.

Sie sagen, dass viele Krebserkrankungen verhindert werden könnten. Wie wurde das nachgewiesen?

Grassinger: Laut Schätzungen der WHO, aber auch anderer Gesundheitsorganisationen, könnten ca. 40 Prozent aller Tumorerkrankungen durch Anpassung des Lebensstils und Vermeidung von Risikofaktoren verhindert werden. Durch die konsequente Teilnahme an Vorsorgeuntersuchungen, zum Beispiel Darmspiegelung oder Mammografie, könnten weitere zehn Prozent der Krebserkrankungen frühzeitig erkannt und geheilt werden. Die Schätzungen resultieren aus Krebsregisterdaten und der Analyse von klinischen Studien.

Die nur zu bekannten Risikofaktoren

Was kann jeder zur Vorbeugung tun?

Grassinger: Der Hauptrisikofaktor für die Entstehung von Krebs ist mit weitem Abstand das Rauchen. Der Zusammenhang zwischen Lungenkrebs, Hals-Kopf-Tumoren, Speiseröhrenkrebs, Blasenkrebs und Nierenkrebs ist in vielen Studien dokumentiert worden. Rauchen verursacht ca. 20 Prozent der vermeidbaren Krebsneuerkrankungen! Mangel an Bewegung, schlechte Ernährung und Übergewicht sind weitere gesicherte Risikofaktoren. Reduktion von Alkohol, Vermeidung von Umweltfaktoren wie etwa UV-Strahlung und Schutz vor Infektionen sind ebenfalls Ansatzpunkte. In diesem Zusammenhang ist zu bemerken, dass praktisch 100 Prozent aller Gebärmutterhalskrebs-Erkrankungen durch eine Impfung gegen den HPV-Virus verhindert werden könnten, leider ist die Impfrate bei deutschen Mädchen nur bei 50 Prozent, bei Jungen (die mit dem Virus anstecken können oder an anderen virusbedingten Tumoren erkranken) noch niedriger. Man muss aber bedenken, dass es Krebserkrankungen gibt, bei denen man praktisch gar kein Potential hat, diese zu verhindern, wie zum Beispiel Gehirntumore oder Prostatakrebs – oder nur zu einem geringeren Prozentsatz, wie Brustkrebs, Eierstockkrebs, da sind Vorsorgeuntersuchungen sehr wichtig, oder auch bei Lymphdrüsenkrebs.

Und wie erklären Sie einem Patienten, der Lungenkrebs hat, aber nie geraucht hat, wie er zu der Erkrankung gekommen ist. Er hat ja zumindest einen bedeutenden Risikofaktor schon mal ausgeschlossen.

Grassinger: Sie haben vollkommen Recht, dass es Menschen gibt, die nicht rauchen beziehungsweise geraucht haben, aber trotzdem Lungenkrebs bekommen. Diese Patienten bezeichnet man als „Nieraucher“. Dazu muss man wissen, dass es weitere Risikofaktoren gibt, die Lungenkrebs verursachen können, zum Beispiel Feinstaub, Asbest oder Strahlung, aber natürlich auch Passivrauchen. Man hat jedoch inzwischen durch genetische Analysen erkannt, dass sich die Art des Lungenkrebses bei Rauchern und Nierauchern unterscheidet. Man kann Unterschiede bei der feingeweblichen Untersuchung erkennen. Oft unterscheidet sich deshalb auch die Art der Therapie.

Mehr Geld für Prävention und kleine Krankenhäuser

Sie sagen, dass Deutsche die schlechteste Lebenserwartung in Westeuropa haben. Woran liegt das? Wie könnten Sie sich vorstellen, dass man das verbessern kann?

Grassinger: Die Lebenserwartung in Deutschland betrug 2021 im Schnitt 80,8 Jahre, in Spanien 83,3 Jahre. Betrachtet man die Gesundheitskosten, ist Deutschland hingegen Spitzenreiter mit ca. 13 Prozent des Bruttoinlandsprodukts (BIP) - 2020 waren das 431 Milliarden Euro. Davon wurden ca. zehn Prozent, also knapp 40 Milliarden Euro, für die Behandlung von Krebserkrankungen aufgewendet. Wir sind in der sehr glücklichen Lage, dass gerade in den letzten fünf bis zehn Jahren Meilensteine der Krebsbehandlung in die Therapie Einzug gehalten haben, zum Beispiel die Immuntherapie oder die zielgerichtete Therapie mit Tabletten, mit denen man Patienten mit relativ wenigen Nebenwirkungen sehr gut und sehr lange behandeln kann, auch solche Patienten, für die man vor zehn Jahren praktisch keine Therapie hatte. Leider sind diese neuen Therapien sehr teuer, 5 000 Euro oder mehr Behandlungskosten im Monat sind keine Seltenheit. Wenn man nun zum Beispiel zehn Prozent der Gesundheitskosten für Krebstherapie einsparen könnte, wären das immerhin vier Milliarden Euro, die man für den Erhalt kleinerer Krankenhäuser und damit für eine breite medizinische Versorgung nutzen könnte. Insgesamt wäre es aber am allerbesten, wenn man versucht, durch Prävention die Anzahl der Krebsneuerkrankungen zu reduzieren! Man sollte viel mehr Geld und Ressourcen in die Prävention stecken. Vorsorge ist besser als Nachsorge! Natürlich würde sich eine Verbesserung des Lebensstils auch auf andere Erkrankungen auswirken, die häufigste Todesursache in Deutschland sind weiterhin Herz-Kreislauf-Erkrankungen, bei denen Rauchen, Übergewicht und Bewegungsmangel ebenfalls Risikofaktoren sind. Für mich ist die Frage, wie man die Gesundheit der Bevölkerung verbessern kann, auch ein gesamtgesellschaftliches beziehungsweise politisches Problem. Wenn man nicht immer mehr Geld in das Gesundheitssystem stecken möchte, sollte man sich aktiver mit dem Gebiet der Krankheitsprävention auseinandersetzen und zum Beispiel die Verfügbarkeit von Zigaretten und Alkohol reduzieren und Ernährung und Bewegung fördern. Immerhin sind 46 Prozent der Frauen und 60 Prozent der Männer in Deutschland übergewichtig! Deutschland ist immer noch das „freieste“ Land in Europa, was Einschränkungen bei Tabak, zuckerhaltigen Getränken und Essen sowie Alkohol angeht.

Patientenkongress in der Fraunhoferhalle

Im April soll in der Fraunhoferhalle ein Patientenkongress mit der Deutschen Krebshilfe stattfinden. Wie sind Sie dazu gekommen? Und was erwartet das Publikum dort?

Grassinger: Neben der herkömmlichen Krebstherapie wie Operation, Bestrahlung und Chemotherapie bieten wir am Klinikum seit drei Jahren im Rahmen der „Integrativen Onkologie“ komplementäre Angebote an, die den Patienten kostenlos (finanziert durch Spenden) zur Verfügung gestellt werden. Dazu zählen Seminare gegen Fatigue und für Achtsamkeit, wir haben eine Walking-Gruppe und bieten Kochkurse, Klangschalenmeditation und sanftes Yoga an. Wir sind überzeugt, dass eine Krebstherapie ganzheitlich erfolgen muss und den Patienten die Ressourcen zur Verfügung gestellt werden müssen, an der Therapie aktiv mitzuwirken. So kann die Lebensqualität verbessert, die Therapieadhärenz gesteigert und im besten Fall auch der Erfolg der Therapie erhöht werden. Eigene Untersuchungen zeigen zum Beispiel, dass ca. 40 Prozent der Patienten, die sich im MVZ-Onkologie erstmals vorstellen, Ernährungsprobleme haben und ca. 30 Prozent eine psychoonkologische Betreuung benötigen. So kam die Idee. Da ein solcher Kongress mit erheblichen Kosten verbunden ist, wir aber keine Pharmafirmen als Sponsoren möchten, habe ich einen Förderantrag auf Finanzierung bei der Deutschen Krebshilfe gestellt, der erfreulicherweise positiv bewertet wurde. Somit planen wir für den 27. April einen erstmalig stattfindenden Patientenkongress, zu dem wir Patienten, Angehörige und Interessierte aus der Stadt, dem Landkreis Straubing-Bogen und dem Landkreis Cham - sowie darüber hinaus - einladen. Die Veranstaltung findet in der Fraunhofer-Halle statt.

Neben Vorträgen der Leiter der Krebszentren am Klinikum, die das medizinische Angebot vorstellen, können die Teilnehmer den Chefärzten Fragen stellen. Ein kostenloses Mittagsbuffet ist vor Ort erhältlich. Am Nachmittag werden Workshops angeboten, die Inhalte zu Ernährung, Bewegung und Psychoonkologie haben. Informations-Tische aller unterstützenden Bereiche am Klinikum runden das Angebot ab. Weitere Informationen über das Programm und die Anmeldung werden in Kürze verfügbar sein.

Quelle/ Interview: Monika Schneider-Stranninger, Straubinger Tagblatt vom 03.02.2024


Präventionsprojekt: Bewusstsein schon bei Kindern schaffen

Privatdozent Dr. Jochen Grassinger hat ein Projekt mit Schülern zur Krebsvorbeugung angestoßen. Er ist der Überzeugung, dass man das Bewusstsein für einen gesunden Lebensstil bereits bei Kindern und Jugendlichen schaffen muss.

Betrachtet man Untersuchungen, bewegen sich nur 17 Prozent der Jungen und zehn Prozent der Mädchen ausreichend, eine gesunde Ernährung haben ca. 30 Prozent der Kinder. Zudem sind sieben Prozent der Mädchen und elf Prozent der Jungen übergewichtig. Es rauchen ca. sieben Prozent der Jugendlichen regelmäßig, 20 Prozent unregelmäßig!

Grassinger hat 2009 bei einem Auslandsaufenthalt in Australien an einem Projekt „Back to school“ mitgearbeitet, und so kam die Idee, in Straubing ein Projekt mit dem Ziel Krebsprävention ins Leben zu rufen. „Etwas Ähnliches gibt es am Tumorzentrum München.“

Das Klinikum Straubing lädt unter dem Titel „Klinikum goes school“ Schüler von zehnten Klassen ein, für einen Nachmittag an einem Seminar zum Thema Krebsprävention teilzunehmen. „In einem ersten Abschnitt referiere ich über Krebs allgemein.“ In einer aktiven Pause werde Sport gemacht und der Leiter der Physiotherapie im Klinikum erklärt, wie man mit einfachen Hilfsmitteln Sport-Übungen machen kann. Nach einer Erfrischung stellt sich ein Krebspatient vor und beantwortet Fragen. Im Anschluss werden Grundlagen zur Krebsprävention aufgezeigt und Tipps gegeben werden, wie man diese umsetzt. Dabei werden die Themen Ernährung, Bewegung, Nikotin und Alkohol, Sonnenschutz und Impfungen besprochen. Mit Info-Material werden die Schüler dann verabschiedet.„

Man muss klein anfangen! Einfach mal nicht mit dem Auto zum Einkaufen fahren, sondern mit den Eltern das Rad nehmen. Wenn es einem schwer fällt, die Treppe hochzugehen, anstatt den Aufzug zu nehmen, einfach anfangen, die Treppen runtersteigen, dann wir das Raufsteigen irgendwann nur logische Konsequenz. Statt den Kaffee mit zwei Würfel Zucker zu trinken, mal nur einen nehmen und dann den Zucker ganz weglassen!“

Das Projekt ist mit dem Turmair-Gymnasium gestartet worden. Nachdem sehr gute Rückmeldungen kamen, sollen andere weiterführende Schulen angesprochen werden oder können sich gerne selber beim Klinikum melden. „Wir möchten auf die Sport-Vereine zugehen und für die Attraktivität der in Straubing und Landkreis angebotenen Sportarten etwas tun, um Kinder und Jugendliche zu ermutigen, sich zu engagieren.“ Aktuell ist das Klinikum im Gespräch mit dem FTSV, wie man im Rahmen einer Sportveranstaltung die Krebs-Prävention bekannter machen kann.  –

Quelle: Monika Schneider-Stranninger, Straubinger Tagblatt vom 03.02.2024

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