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„Aktuelle Belastung wird ausgeblendet“

(08.08.2022)

Im Klinikum St. Elisabeth ist die Corona-Sommerwelle längst angekommen und erlaubt Ärzten und Pflegepersonal keinerlei Verschnaufpause. Mit Sorge blickt man aufs Volksfest und den Herbst

Bis zu 30 Coronapatienten wurden in den vergangenen Wochen im Klinikum St. Elisabeth versorgt. Für Pflegepersonal und Ärzte bedeutet das: Arbeiten am Anschlag und ohne Verschnaufpause – bis zum Herbst, wenn die nächste große Welle erwartet wird. Die Verantwortlichen des Klinikums wollen keine Spielverderber sein. „Wir feiern selbst gerne“, sagt Dr. Hannes Häuser, ärztlicher Direktor und Pandemiebeauftragter. Dennoch sind die Befürchtungen gerade mit Blick auf die kommenden Wochen und Monate groß.

Das Klinikum meldet aktuell 24 Covid-Patienten, eine sehr hohe Zahl für die Sommermonate. Was kann man über diese Patienten sagen bezüglich Alter, Impfstatus und Vorerkrankungen?
Dr. Franz Stierstorfer, Leiter der Stabsstelle Klinikhygiene: Das Alter liegt mehr im oberen Bereich, ab circa 70 Jahren. Es finden sich jedoch auch jüngere Patienten, wobei diese eher nur geringe oder keine Symptome haben. Über 90 Prozent der Patienten sind geimpft. Zweit- oder Drittinfektionen gibt es, sind aber sehr selten. Häufig finden sich bei den Patienten Begleiterkrankungen wie Nieren- oder Herzinsuffizienz. Es ist schon erkennbar, dass je mehr Vorerkrankungen vorliegen, der Krankheitsverlauf umso langwieriger und komplizierter ist.

Erfahren Sie in den Gesprächen mit den Patienten, wie und wo sie sich angesteckt haben?
ChefarztProf. Dr. Norbert Weigert, Leiter der Isolationsstation: Die überwiegende Mehrzahl an Patienten hat sich im privaten Umfeld und bei größeren Menschenansammlungen infiziert.

Kommen die Kranken tatsächlich wegen Corona ins Krankenhaus oder werden die Infektionen zufällig erst im Klinikum entdeckt?
Stierstorfer: Aktuell ist es so, dass circa zwei Drittel der Patienten, die ins Klinikum kommen, Krankheitssymptome haben. Bei dem anderen Drittel findet sich die Infektion zufällig beim Aufnahmescreening. Das Klinikum testet ja gemäß der Vorgabe des RKI noch alle Patienten, die stationär aufgenommen werden.

Weigert: Durch diese Eingangstestung wird manchmal bei Patienten, die wegen einer anderen Erkrankung, wie beispielsweise einem Herzinfarkt, stationär aufgenommen werden, eine Corona-Infektion nachgewiesen, ohne dass diese Patienten relevante Infektionszeichen aufweisen. Mit steigender Inzidenz in der Bevölkerung nimmt die Zahl dieser Patienten deutlich zu. Die Patienten, die einen komplizierten Infektionsverlauf entwickeln, sind in der Regel älter oder haben gravierende Begleiterkrankungen. Wir halten es daher für sehr wichtig, dass Menschen in höherem Lebensalter und Menschen mit einer Abwehrschwäche einen ausreichenden Impfschutz aufweisen.

Die meisten kurieren ihre Infektion zuhause aus. Doch wann ist der Punkt erreicht, an dem man die Notaufnahme aufsuchen sollte?
Christian Thiel, ärztlicher Leiter im Notfallzentrum: Generell scheint die aktuelle Variante bei geimpften Patienten ähnliche Symptome wie eine Grippe auszulösen: Fieber, Kopf- und Gliederschmerzen, Halsweh, Abgeschlagenheit. Eine symptomatische Therapie in Absprache mit dem Hausarzt kann eine Vorstellung in der Klinik meist vermeiden. Sollte zusätzlich Luftnot auftreten, kann die Vorstellung in der Notaufnahme erwogen werden.

Welche Patienten müssen beatmet werden? Sind es weniger als während der ersten Welle? Trifft es auch Junge, Gesunde?
Chefarzt Professor Sebastian Maier, Leiter der internistischen Intensivstation: Derzeit müssen nur wenige Menschen wegen einer Corona-Infektion auf der Intensivstation behandelt oder beatmet werden. Es handelt sich meistens um ältere Menschen und solche mit schweren Begleiterkrankungen. Manchmal erkranken aber auch jüngere Menschen und ohne wesentliche Vorerkrankungen sehr schwer an Covid, insbesondere wenn diese Personen nicht oder nicht ausreichend geimpft sind. Es ist unverständlich, dass immer noch Mitmenschen fahrlässig eine Impfung ablehnen.

Stierstorfer: Aktuell müssen nur noch sehr wenige Patienten beatmungspflichtig versorgt werden. In der Regel sind dies Patienten mit schwerer Atemnot, bei denen eine bloße Sauerstoffgabe über Sonde nicht mehr ausreichend ist. Es sind deutlich weniger als in den vorhergehenden Wellen mit der Delta-Variante.Dr. HannesHäuser: Hier ist ein wesentlicher Faktor, dass wir hohe Durchimpfungsraten und Genesenenraten in der Bevölkerung haben. Deshalb gibt es bei Weitem nicht mehr diese immensen Zahlen an schwer erkrankten Menschen durch Covid, geschweige denn derart hohe intensivstationspflichtige Patienten und Sterberaten. Insofern sind manche Kommentare, die Impfungen seien ohne Wirkung, natürlich völlig sinnentleert. Die Impfung und die Wiederholungsimpfung sind ein wesentliches Beherrschungsinstrument für eine Pandemie. Das ist nichts Neues, wenn man auf verschiedene Krankheiten zurückblickt.

Können die meisten ihre Infektion auf der Normalstation auskurieren? Wie sieht dort die Therapie aus?
Weigert: Die meisten Patienten können ihre Beschwerden auf der Infektionsstation auskurieren. Wir setzen außer Sauerstoff, Cortison-Präparaten und Atemtherapie auch spezielle Antikörper und sehr moderne Medikamente ein, die direkt gegen das Virus gerichtet sind und dessen Vermehrung blockieren. Diese Behandlung kann sehr rasch komplex und sehr teuer werden.

Inwieweit müssen die Kapazitäten in Ihrem Haus in anderen Bereichen eingeschränkt werden?
Stierstorfer: Problematisch ist aktuell allgemein die hohe Anzahl der stationär aufzunehmenden Patienten und die hohe Ausfallquote beim Personal.Häuser: Je nachdem, wie viele Patienten versorgt werden müssen und Mitarbeiter ausfallen, sind Reduktionen von Eingriffen und Behandlungen erforderlich, um die Leistungsfähigkeit für Notfälle und die Versorgung von Covid-Erkrankten zu gewährleisten. Hier müssen wir akut entscheiden. Die entsprechenden Gremien, vor allem der Krisenstab des Klinikums, betrachtet dies kontinuierlich.

Pflegedirektor Franz-Xaver Knott: Aktuell müssen wir wieder Kapazitäten in anderen Bereichen einschränken, da der personelle Aufwand für die Versorgung von Covid-Patienten etwa den 1,5-fachen Personalansatz bedeutet. Hinzu kommt der erhöhte Krankenstand auch im Personalbereich – denn unsere Mitarbeiter sind ein Spiegelbild der Gesellschaft. Auch ist die körperliche Belastung bei der Versorgung von Covid-Patienten sehr groß: Vollschutz bei über 30 Grad Außentemperatur.

Wie geht es dem Personal mit der aktuellen Situation, wie ist die Stimmung im Hinblick auf den Herbst?
Stierstorfer: Die Stimmung ist eher durchmischt, weil mit einem weiteren Anstieg der doch schon hohen Inzidenz und damit der Krankenhausaufnahmen zu rechnen ist.

Knott: Aus Sicht der Pflege bin ich immer wieder erstaunt, wenn es heißt, wir müssen uns auf den Herbst gut vorbereiten. Wir tun aktuell alles, um die Situation in der Pflege aber auch in anderen Krankenhausbereichen stabil zu halten. Allerdings – und dies ist seit langem bekannt – ist der Arbeitsmarkt im Pflegereich leer, aktuell bezahlen in der Region Krankenhausträger sogar Willkommensprämien für Rückkehrer. Ob dies der richtige Weg ist, müssen andere beurteilen. Wir hatten im letzten Jahr in den Sommermonaten eine gewisse Verschnaufpause bei den Corona-Patienten und konnten uns somit auf die Versorgung der restlichen Patienten konzentrieren. Das fehlt heuer, ich hoffe, dass wir im Herbst davon nicht eingeholt werden. Für die nächsten Monate bleibt uns nur, dass wir uns der Herausforderung stellen und bei Bedarf auf die aktuelle Situation reagieren. Ich denke, das muss ehrlicherweise gesagt werden.

Viele nehmen Corona inzwischen auf die leichte Schulter, es gibt ja auch genügend andere Probleme. Was würden Sie ihnen gerne sagen?
Dr. med. Christoph Scheu, Klinikums-Geschäftsführer: Wir müssen lernen mit dem endemischen Virus zu leben. Das bedeutet, das gesellschaftliche Leben nicht dauerhaft zum Erliegen zu bringen. Wir sollten aber als Gesellschaft lernfähig sein und die bekannten effektiven Maßnahmen einsetzen, damit das Gesundheitssystem nicht überwältigt wird, das heißt Masken in geschlossenen Räumen tragen und Boosterimpfungen nutzen.

Stierstorfer: Coronainfektionen sind nach wie vor nicht harmlos. Es gibt nach wie vor Menschen, die daran sterben. Auch gibt es das Long-Covid-Syndrom, bei dem die Patienten über einen langen Zeitraum nach der Infektion gesundheitliche Beschwerden haben. Weiterhin brauchen viele Menschen nach einer Coronainfektion mehrere Wochen, bis sie wieder einen guten Gesundheitszustand erreichen.

Und was wünschen Sie sich von der Politik?
Weigert: Eine klare und unmissverständliche Botschaft an die Bevölkerung! Eine Corona-Infektion kann immer noch zu schweren Gesundheitsschäden führen und sollte daher durch entsprechende Vorsichtsmaßnahmen vermieden werden. Die Corona-Pandemie eignet sich nicht für parteipolitische Auseinandersetzungen, die falsche Informationen transportieren und zu Fahrlässigkeit in der Bevölkerung führen. Außerdem sollte die Politik endlich die enorme Leistung der Pflege und Ärzte nicht nur durch salbungsvolle Worte, sondern auch durch spürbare Taten honorieren.

Stierstorfer: Von der Politik wünschen wir uns mehr Ehrlichkeit über die doch hohen Inzidenzen und dass wieder vermehrt auf Schutzmaßnahmen und die Impfung hingewiesen wird. Auch sollte klarer kommuniziert werden, dass die Corona-Pandemie noch lange nicht vorüber ist und die Inzidenzen sehr hoch sind. Man sollte sich von Seiten der Politik bereits Gedanken darüber machen, wie wir im Herbst und Winter bei weiter steigenden Zahlen reagieren werden.

Knott: Nach den letzten Monaten, nicht viel – oder doch, ich habe aktuell den Eindruck, die Behandlung der Covid-Patienten auf Bundesebene haben die Juristen übernommen. Gut, dass wir in der Praxis noch immer Mediziner haben. Die aktuelle Belastung der Kliniken wird von der Politik ausgeblendet, dies muss wieder wahrgenommen werden. Irgendwie passen für mich die Sorglosigkeit im Alltagsleben auf der einen Seite und die Vorgaben für den Klinikbereich auf der anderen Seite nicht mehr zusammen. Diesen Spagat werden wir auf Dauer nicht durchhalten.

Haben Sie zum Schluss noch einen Tipp für einen sorgenfreien Volksfestbesuch?

Häuser: Leider kann man keine Absolution durch spezielle Empfehlungen erteilen. Eine Impfung kann auf jeden Fall das persönliche Risiko reduzieren.Stierstorfer: Beim Zusammentreffen großer Menschenmengen besteht eine hohe Wahrscheinlichkeit, dass sich darunter positive Menschen befinden, die die Ansteckung weitergeben. Vor allem Betroffene mit eingeschränkter Immunfunktion sollten sich einen Besuch daher gut überlegen. Außerdem sollte man nicht aufs Volksfest gehen, wenn man Krankheitssymptome hat, um nicht andere anzustecken.

Thiel: Da die Kliniken und Notaufnahmen aktuell bereits am Rande ihrer Kapazität stehen, sollte – so unsinnig es klingen mag – auf einen übermäßigen Alkoholkonsum verzichtet werden. Denn eine weitere Belastung der Notaufnahme durch alkoholisierte Festbesucher muss im Sinne der wirklich kranken Notfälle unbedingt vermieden werden. Feiern in Maßen, nicht mit Massen! Wir erwarten im Rahmen des Gäubodenvolksfestes leider auch vermehrt Personalausfall durch Covid-Infektionen beziehungsweise Quarantänepflichten der Covid-positiven Mitarbeiter. Zeitgleich wird der Patientenzustrom steigen. Neben der zu erwartenden Verbreitung des Corona-Virus durch das Gäubodenfest haben einige Praxen Sommerurlaub. Wir bitten Patienten generell mit chronischen Beschwerden soweit möglich mit der Vorstellung beim Hausarzt Geduld zu haben und bei Terminverzögerung nicht direkt in die Klinik zu kommen – soweit dies von der Erkrankungsschwere her vertretbar ist.

Häuser: Grundsätzlich können wir nicht sagen, wann der richtige Zeitpunkt für eine Aufhebung der Pandemie ist, die Testungen beendet werden sollen und die Gesellschaft keinerlei Auflagen mehr zu ertragen hat. Auch wenn es immer wieder eingefordert wird. Verantwortliche werden gerne für „Fehler und Versagen“ als solche benannt. Aber Verantwortung trägt jeder in der Gesellschaft mit seinem Verhalten mit.

 

Interview: Karola Decker

Quelle: Straubinger Tagblatt vom 06.08.2022